Theologischer Einspruch im Programmheft der Bachwoche 2017

Von Reinhard Lampe

Martin Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ (EG 362) wurde viel Gewalt angetan. Besonders im 19. Jahrhundert wurde Luthers Text je nach Bedarf patriotisch-franzosen- feindlich, bürgerlich- revolutionär, sozialdemokratisch oder wilhelminisch-militaristisch umgedeutet und umgedichtet. Ernst-Moritz Arndt gab 1813 zur Völkerschlacht bei Leipzig die Richtung vor: „Eine feste Burg ist unser Gott; Auf, Brüder, zu den Waffen!“ Napoleon (in der Rolle des „altbösen Feindes“) trift Arndts Gottesurteil: „Mit seiner Macht war nichts gethan; Gott sprach’s: sie geh’ zu Grunde, / Aus Deutschland treib ihn, deutscher Mann! Auf, schwör’s mit Hand und Munde!“ Und was sollen die fränkischen Teufel statt des „Wortes“ stehen lassen? „Sie sollen Deutschland lassen stehn: Gott hob die gute Sache. / Der Franken Macht soll untergehn! Viel Blutschuld schrie um Rache. / Schaut Deutschlands Noth: Sieg oder Tod! / Im Busen schwillt’s! Der Rettung gilt’s, / Der Freiheit Deutscher Männer!“ – Nichts dergleichen bei Bach!

Antwort auf den Angriff von M. Hammermeister

Im einführenden Beitrag zur Bach-Kantate „Ein feste Burg ist unser Gott“ BWV 80 im Programmheft der 71. Greifswalder Bachwoche ging es mit den eingangs zitierten Arndt-Versen darum, eine seit dem 19. Jahrhundert verbreitete, aber eben unhistorische Interpretation des Luther-Chorals als Kampflied zu korrigieren, der Bach (und sein Librettist Salomon Franck) in der gleichnamigen Kantate des 18. Jahrhunderts noch nicht anhingen. In der Kantate ist Luthers Glaubensaussage, dass es Christus allein ist, der die Gläubigen aus der Macht des Satans befreit („Mit unsrer Macht ist nichts getan“), noch ungebrochen bewusst, das Lied ist ein Trostlied für bedrohte und angefochtene Christen. Ein Jahrhundert später wurde Luthers Bildsprache dann dafür benutzt, vor allem die eigene Kampfkraft (als Deutsche, als Revolutionäre, als Arbeiterpartei) metaphorisch zu überhöhen und den „altbösen Feind“ (bei Luther und Bach wirklich noch der Teufel persönlich) wahlweise mit den Franzosen, den Fürsten oder den Ausbeutern zu identifizieren.

Arndt stand mit seinem Text von 1813 nicht allein, war aber maßgeblicher Impulsgeber für die Inanspruchnahme des Chorals in diesem Sinne. Wie rabiat er gerade als Lyriker im Einzelnen mit Luthers Text umgegangen ist, ist nachzulesen in: Heinz Hillmann: Deutsche Lyrik III, Nationale Lyrik im 19. Jahrhundert, in: Europäische Lyrik seit der Antike, 14 Vorlesungen, Hg. Heinz Hillmann und Peter Hühn, Hamburg 2005., S. 213- 219. Online verfügbar.