Warum die Universität keinen Namenspatron benötigt

Von Thomas Stamm-Kuhlmann

Der 28. Juni 1933 war ein symbolischer Tag. Es war der Jahrestag des Vertrages von Versailles. An diesem Tag gelobte die Universität Greifswald Revanche. Revanche für den verlorenen Weltkrieg, an dessen Entstehung Deutschland eine maßgebliche Schuld trug. An diesem Tag feierte die Universität ihren kurzzeitigen Professor als ihren Namenspatron. Nicht etwa, weil Arndt schöne Märchen und Kirchenlieder hinterlassen hatte. Oder weil er eine Schrift gegen die Leibeigenschaft verfasst hatte. Sondern, weil man sich daran erinnerte, dass er geschrieben hatte: „Das ist des Deutschen Vaterland, wo jeder Franzmann heißet Feind.“

Arndt ist also als Hassprediger zum Namenspatron gemacht worden. Damit hatte sich die Universität dem Zeitgeist hemmungslos ausgeliefert. Wie sehr, wird aus der Ansprache ersichtlich, die der Theologieprofessor Heinrich Laag an diesem Tag gehalten hat. Darin heißt es:

„Noch lastet der Schandvertrag auf unserem Volke. Wir alle, liebe Kommilitonen, sind dazu berufen, die Fesseln zu sprengen. […] Nur wenn wir so denken, werden wir auch im Sinne des Führers unseres Volkes handeln, der es immer von neuem bezeugt hat, daß für den Aufstieg Deutschlands nicht in erster Linie Wirtschaftsprogramme, Organisationsfragen und äußerliche Dinge entscheiden, sondern daß Deutschland nur dann einer besseren Zukunft entgegengeführt werden kann, wenn eine geistige Erneuerung das Volk erfaßt.“1

In verschiedenen Stellungnahmen ist gefordert worden, die Universität dürfe sich dem Zeitgeist nicht unterordnen. Ich stimme dem zu. Die Universität kann sich, wenn sie die Werte der Wissenschaft hochhält, wie sie in unserem Leitbild niedergelegt sind, auch gegen den Zeitgeist stellen. Dann muss dies aber heißen, dass wir uns endlich vom Zeitgeist des Jahres 1933 freimachen müssen. Und auch der Zeitgeist von 2017 mit seinen Tendenzen zum autoritären Konformismus, wie er sich beim Greifswalder Marktplatzpranger gezeigt hat, fordert Widerspruch heraus.

Niemand wirft Ernst Moritz Arndt vor, dass er den Freiheitskampf für sein besetztes Land geführt hat. Deswegen braucht man uns auch nicht über die dunklen Seiten der napoleonischen Herrschaft zu belehren. Das wissen wir als Wissenschaftler alles nur zu gut. Es ist Arndts Wunsch, den Völkerhass zu verewigen, der unsere Ablehnung herausfordert, und sein fremdenfeindlicher Wunsch, das Volk rein von Vermischung zu halten.

Diese Tendenzen kamen freilich in dem geschönten Arndt-Bild, das die SED verbreitet hat, nicht vor. Man lese Arndt endlich ungekürzt und verlasse sich nicht mehr auf die SED, die ihre eigenen tagespolitischen Zwecke verfolgte. Die SED wollte, Stalins Auftrag getreu, Konrad Adenauer als Rheinbundfürsten und die Nato als Nachfolger Napoleons anschwärzen.

Worin kann der Name einer Universität bestehen? Am besten fasst er das zusammen, was man auch als Marke bezeichnet. Ist die Marke Ernst Moritz Arndt? Ist sie irgendein anderer Professor, der jemals, mit oder ohne Nobelpreis, an dieser Uni gelehrt hat?

Wenn wir unser Leitbild lesen, kann es sich nur um Werte handeln. Diese sind aber zu abstrakt, um sie in einen Namen aufzunehmen.

Was verbinden die Menschen mit uns, was verbindet auch unsere Werbung um Studierende mit uns? Ich erinnere an den Slogan: Lange Tradition – kurze Wege – weiter Blick. Dieser Slogan wird anschaulich, wenn man sich die Stadt vor Augen hält. „Wo hast du studiert?“ Fragt man. Und die Antwort lautet: „In Greifswald“. Nicht: „bei Ernst Moritz Arndt“. Unsere Marke ist also „Greifswald“.

Wir sind ja dann nicht ohne Namen. Der Name könnte lauten: „Universität Greifswald“.

Das ist ein Name.

Oder würde jemand sagen wollen, die Universität Leipzig (gegründet 1409 und wahrlich altehrwürdig) und die University of Oxford und die University of Chicago seien namenlos?

Eines ist jedenfalls nicht möglich: Alles, was uns an Arndt heute stört, vor allem den Antisemitismus, auf die Zeitumstände des 19. Jahrhunderts abzuschieben und deswegen zu entschuldigen, dagegen alles, was man gerne behalten möchte, wie die Forderung nach Pressefreiheit, als „prophetisch“ zu bezeichnen. Es könnte ja gerade umgekehrt sein: Was uns an Arndt stört, ist das Zerstörerische an ihm gewesen, das auf das 20. Jahrhundert zulief, und was ihm als Verdienst angerechnet wird, war halt der harmlose Zeitgeist des 19. Jahrhunderts. Das entspricht der historischen Realität auch weit besser.

Gibt es ein Menschenrecht, Namenspatron einer Universität zu sein? Das gibt es nicht. Arndt ist nicht Luther, den man im hintersten Texas und im innersten Afrika kennt, Arndt ist nicht Gandhi, dessen Menschenrechte in Südafrika verletzt wurden, Arndt ist nicht Jean Moulin, der von der deutschen Besatzungsmacht real zu Tode gefoltert wurde, während Arndt von einer Todesstrafe durch Napoleon nur bedroht gewesen ist. Während die Mitstreiter von Jean Moulin die Aussöhnung mit Deutschland schon während des Zweiten Weltkrieges für eine dringende Notwendigkeit erklärten (deswegen haben wir heute ein einiges Europa), predigten die Anhänger Arndts den Hass auf Frankreich.

So genannte Freunde der Universität verunglimpfen heute die Mitglieder der Universität, weil diese sich für das Ganze der Hochschule verantwortlich fühlen, und deren Gastwissenschaftler, die die Meinung eines großen Teils der gelehrten Welt zum Ausdruck bringen. Und diese Meinung lautet nun einmal häufig: Der Name sollte abgelegt werden. Ist solche Verunglimpfung im Interesse der Universität oder dient sie nur einem engstirnigen Lokalgeist? Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

 

1 Heinrich Laag: Der Freiheitskampf des Greifswalder Dozenten E. M. Arndt: Rede anläßlich der Feier bei der Verleihung des Namens Ernst-Moritz-Arndt-Universität am 28. Juni 1933 gehalten von Prof. D. Heinrich Laag. Universitätsverlag Ratsbuchhandlung L. Bamberg Greifswald 1933, S. 15f.