Wer „Wilde Männer“ mag, der liebt auch starke Worte

Von Prof. Dr. em. Uwe-K. Ketelsen, Germanist, Bochum.

Merkwürdig: es gibt Dinge/Gebäude/Institutionen, die so gut wie nie einen Namen tragen, z.B. Rathäuser oder Bahnhöfe; andere haben immer Namen, etwa Schiffe, ändern ihn aber mit jedem neuen Besitzer;neuerdings gibt es einen Trend, sogar Schnellzüge oder Flughäfen mit Namen zu belegen; auch Universitäten, die auf sich halten, schmückt häufig ein Name, vor allem die ‚alt ehrwürdigen‘. Sie ziert möglichst der Name eines Fürsten, jüngere Gründungen der eines renommierten regionalen Geistes. Warum ist das so? Schon die Namen selbst weisen den Weg. Die Friedrich Alexander, Albert Ludwig, Ludwig Maximilian etc.deuten zurück in die frühe Neuzeit. Sie boten sich an, weil die sich etablierenden Landesfürsten – plakatiert mit dem standesgemäßen Wahlspruch „arte et marte“ – ihre Territorien durch die Gründung höherer Lehranstalten modernisieren wollten und zugleich ihren Nachruhm nach damaliger Mode als Förderer von Kunst und Gelehrsamkeit zu festigen trachteten. Die erlauchten Namenspatrone versprechen den Universitäten Reputation und kennzeichnen sie zugleich als Landesanstalten. Sie hören sich allemal gut an, auch wenn die fürstlichen Gebeine längst vermodert sind. So legitimiert, können auch jüngere Standesgenossen als Namensspender in Erscheinung treten: Karl Franz, Friedrich Wilhelm. Kaum jemand fragt danach, wer sie gewesen seien, etwa Christian Albrecht(nicht zu verwechseln mit Ernst Albrecht, dem Vater unserer derzeitigen Wehrministerin). Obwohl die Greifswalder Universität zu den ältesten in Deutschland zählt, steht sie nicht in dieser Tradition, verdankt sie ihre Gründung doch einem Bürgerlichen, dem Bürgermeister Heinrich Rubenow, und der war bei allem hansischen Selbstbewußtsein im Kreise der hohen Herren selbstverständlich nicht satisfaktionsfähig. Dieser Umstand rückt die Greifswalder Alma Mater trotz ihrem Alter an die Seite von Universitäten aus nach feudaler Zeit. Von denen begnügen sich viele trotzig oder stolz mit einer Ortsangabe, aber so manche will den guten alten Brauch denn doch nicht aufgeben und wählt bürgerliche Geistesgrößen mit regionalem Bezug zu ihrem Patron. Damit wird neben vielen anderen der Pool an Namen erweitert, es tauchen mit diesem Wechsel auch erhebliche Probleme auf.Während nämlich die Fürstennamen in eine noble, graue Vergangenheit weisen, aus deren Nebel die Paten und ihre Taten allenfalls undeutlich hervortreten, werden den großen Geistern jenseits ihrer Zeitgebundenheit eine vorbildliche, verpflichtende Gegenwärtigkeit zugeschrieben; sie beanspruchen eine – wenn meist auch nur sehr vage – Verbindlichkeit.Glücklich, wer einen glatt polierten Klassiker wie Goethe oder Schiller wählen kann, unter bestimmten Umständen ist auch Karl Marx gegangen.Aber meist sind die Erkorenen doch komplexere Erscheinungen, so daß sie nicht unbedingt jedermanns Zustimmung finden. Die einen müssen ihren Heinrich Heine gegen Widerstände durchsetzen, die anderen wollen ihren Ernst Moritz Arndt loswerden. Das sorgt nur zu oft republikweit für Gesprächsstoff, meist keinen sehr rühmlichen. Daß der wütende Franzosenfresser, steifnackige Judenhasser, öde Slawenverächter und tönende Starkreimer Arndt (nicht nur) heutigetagskaum als akademischer Namenspatron Ansehen verleiht, braucht nichtbesonders demonstriert zu werden; nicht ganz ohne Grund wurde der Universität Greifswald sein Name denn auch erst 1933 angeheftet. Und die derzeitige Diskussion spült ans Licht, was besser verborgen bliebe.Schon unter seinen Zeitgenossen und erst recht in der Rezeption verengte sich sein Bild auf das eines politischen Agitators. Seine Ansichten nehmen sich indes nicht sonderlich originell aus. Im Gegenteil: Seit der Wiederentdeckung der Germania des Tacitus in der Mitte des15. Jahrhunderts war – mit unterschiedlicher Zielrichtung – der‚teutsche‘ Furor und der Drang nach ‚Freyheit‘ (übrigens nicht allein in deutschen Landen) nachgerade sprichwörtlich. Mit der Französischen Revolution und vor allem mit Napoleons Bestrebungen einer Neuordnung Europas ließen nicht nur die Kleist, Fichte, Körner, Jahn, Görres und an ihrer Spitze Arndt einen anschwellenden patriotischen Donnerhall durch den deutschen Blätterwald dröhnen, der durch das ganze 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts kräftig nachtönte, bis er nach zwei katastrophalen Kriegen mit Millionen von Toten und Ermordeten endlich erstarb. Das zu wissen, gehört mittlerweile zum kulturellen Gemeingut und muß nicht weiter dokumentiert werden.Mehr noch als seine literarischen Hervorbringungen verstört im Rückblick Ernst Moritz Arndt als historische Figur. Seine Zeit, d.h. die Jahrzehnte zwischen 1770 und 1820/30, war eine Periode des tiefgreifenden Umbruchs. Das Ancien Régime sank dahin, und das bürgerliche Zeitalter zog herauf, auch wenn in den deutschen Territoriendie feudale Kulisse auf lange Zeit noch erstaunlich stabil blieb. An zwei Punkten betraf dieser Wandel Arndt besonders: in seiner Stellung als Poet (was möglicherweise nur den Literaturfreund interessiert) und in seiner Rolle als Untertan. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff der Poesie im Ensemble der Redeweisen fundamental neu bestimmt. Die Dichtung wurde aus dem Reglement der Rhetorik (die ohnehin in Verruf geriet) herausgelöst und – als Ausdruck eines interesselosen Wohlgefallens – aus allen pragmatischen Zusammenhängen befreit und‚autonom‘ gesetzt. Indem Arndt aufputschend den „süßen Tag der Rache“ beschwor, spannte er – mit Schiller zu reden – den in langen Diskussionen aus seinen Fesseln erlösten Pegasus wieder zurück ins Joch und ließ ihn einen ihn demütigenden Karren ziehen. So galt er schon seinen romantischen Zeitgenossen als ein – wenn auch streckenweise sehr erfolgreicher – reimender Propagandist, an dem (mit unseren Worten gesprochen) der Geist der ‚Moderne‘ vorbeigegangen war. Arndts Lage war aber noch in anderer Weise kompliziert. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts,und dann eruptiv seit der Französischen Revolution vollzog sich jener Umbruch, den wir seit Habermas einen Strukturwandel der Öffentlichkeit nennen, jener von der ‚repräsentativen‘ zur ‚bürgerlichen Öffentlichkeit‘: das Feld des politischen Handelns besetzte nicht länger allein die fürstliche Geheimpolitik, die Untertanen wollten als Bürger nicht nur frei denken (was ja schon viel war), sie wollten auch den Gangdes politischen Geschehens (mit)bestimmen. Ohne diesen revolutionären Bruch wäre ein Mann wie Arndt nicht möglich gewesen. Nur: Arndt kehrt diesen Impuls genau gegen jene, die ihn gebracht hatten, gegen das, was wir heute die ‚Moderne‘ (oder politisch: den ‚Westen‘) nennen: gegen die Aufklärung, die Franzosen (und die Juden, was ihm eines war). Eine seiner berühmtesten Gedichte, das Vaterlandslied (1812), setzt diese Kehre trotzig in markige Bilder um: der freie Mann, dem Gott, der das Eisen wachsen ließ, „Säbel, Schwert und Spieß“ in die Hand gedrückt hat,der will nicht länger im Tyrannensold stehen, „doch wer für Tand und Schande ficht, den hauen wir zu Scherben, der soll im deutschen Lande nicht mit deutschen Männern erben“, und etwas später heißt es, die Deutschen wollten mit Blut das Eisen röten, „mit Henkerblut, Franzosenblut“. Allerdings: nachdem Arndt seine Arbeit getan hatte, fiel auch er genau jenen Kräften zum Opfer, für deren Sieg er so lautstark getönt hatte. Nach dem Krieg gegen Napoleon geriet er in die Mühlen der‚Demagogenverfolgung‘ und verlor 1819 seine Bonner Professur. Erst nach20 Jahren löste König Friedrich Wilhelm IV. den Bann, auf daß er 1849seinen letzten Kotau vor den Granden der alten Ordnung machen konnte,indem er als Mitglied der ‚Kaiserdeputation‘ des Paulskirchen-Parlamentsdem preußischen König die Kaiserkrone antrug. Dieser aber wollte sie nicht von Professoren und Krämern entgegennehmen, auch nicht von seinem treuen Trommler. – Auch, wenn die wappenhaltenden „Wilden Männer“ vom Dach des Hauptgebäudes der Universität herunterstiegen, könnten sie dem wohl nicht helfen.