Zur Debatte um die Namenskorrektur der Universität Greifswald 2017

Von Walter Baumgartner

Das Folgende basiert auf einer Auswertung der OZ und auf Beobachtungen an den beiden Foren sowie dem Bericht über die Landtagsdebatte in LandtagsNachrichten M.-V. 3/2017. Den Shitstorm aus den sozialen Netzwerken kenne ich nur vom Hörensagen.

                Lasst klingen, was nur klingen kann,

                Trompeten, Trommeln, Flöten!

                Wir wollen heute Mann für Mann

                mit Blut das Eisen röten,

                mit Henker- und mit Knechteblut.

                O süßer Tag der Rache!

                Das klinget allen Deutschen gut,

                das ist die große Sache.

                        (Ernst Moritz Arndt: Der Gott, der Eisen wachsen ließ)

1. Es gibt keine rationalen akademischen, wissenschaftlichen und hochschulpolitischen Gründe, Ernst Moritz Arndt als Namenspatron zu führen.

Das ergibt sich aus einer Sichtung der neueren Literatur zu A., u.a. auch durch die Professoren Buchstein, Baumgartner, Stamm-Kuhlmann, Buchholz und Klüter – d.h. der für A. zuständigen Fachvertreter vor Ort! (Vgl. deren wissenschaftliche Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, auch online. Gutachten mit Literaturangaben finden sich auf der Homepage der Uni Greifswald) Die diesjährige Debatte ist eine reine Wiederholung von 2001 und 2010; die Gegner der Namensablegung sind unbelehrbar durch die vorangegangenen Kolloquien, Anhörungen, etc., die ja von Karl-Ewald Tietz 2003 veröffentlicht und leicht zugänglich sind.

2. Das Bekenntnis zu Ausländerfreundlichkeit und Weltoffenheit auf der Startseite der Uni- Homepage steht in krassem Widerspruch zum notorischen Rassismus, Antisemitismus und Chauvinismus des Namenspatrons.

3. Allein schon die Art und Weise, wie der Kampf(!) um den naziverliehenen Namen geführt wird: mit „Attacken“, „Etappensiegen“ (8.3.) und „Die Gefahr ist noch nicht vorüber“ (26.5.), ist schon ein starker Grund, den Namen abzulegen. Eine DHS-Umfrage wurde initiiert und gefälscht; deren angebliches Resultat wurde 5 Wochen nach manipulationsbedingtem Abbruch der Umfrage in der OZ als Leserbrief des Georg Meyer veröffentlicht (24.3). In öffentlichen Diskussionen werden nicht gewünschte Forschungsergebnisse und Meinungen mit Zwischenrufen einfach für falsch erklärt bzw. entwertet: „Frechheit“, „stimmt nicht“, „NEIN!“, „Infame Lüge“ (18./19.2.). Gewisse „Historiker und andere Professoren“ hätten „eigenmächtig(!) den Namen der Uni (geschwärzt)“ (25./26.3. passim). Der Debatte mangelt es völlig an Augenmaß.

Drei bis vier Standardformulierungen zu den angeblichen Verdiensten A.s werden beharrlich wiederholt, von der OZ-Redaktion wie von den Leserbriefen: A. habe sich erfolgreich für die Abschaffung der Leibeigenschaft eingesetzt. Er sei für Freiheit gewesen, auch für Pressefreiheit. Er sei ein Demokrat gewesen. Sein Judenhass müsse aus seiner Zeit heraus gesehen werden. Jedes einzelne dieser Argumente fällt in sich zusammen, wenn man es nach Quellenlage und Stand der heutigen Historiographie hinterfragt. (Dazu unten mehr.)

 

4. Die Leserbrief-Lawine der OZ und andere Aktionen zu Gunsten der Beibehaltung des von Göring 1933 verliehenen Namens sind nicht auf der Höhe der heutigen geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Namensbefürworter leugnen den Stand oder vorliegende Forschungsresultate zu A. Sie bringen stattdessen Vorurteile, Bauchgefühle, Trotzreaktionen, antiakademische Ressentiments, Ostalgie, überholte Lehrmeinungen und Stellvertreterkriege: Sie sprechen von der „vermeintliche Zivilcourage von Professoren, die bequem auf den Lehrstühlen dieser Universität Platz genommen haben“ (30.1.). Man schimpft sie „selbstverliebte Gegenwartsidealisten“ (22./23. 4. passim). Hanebüchene ad hoc Rationalisierungen werden mit großem rhetorischem Effekt vorgetragen (A. habe Rückgrat besessen; der Uni-Name sei Anlass, sich auf menschliche Fehlbarkeit und Irrtümer der Geschichte zu besinnen, etc.).

Der Mann von der Straße und die CDU vermissen eine Auseinandersetzung mit A. Sie zeigen aber völlige Unkenntnis der existierenden Sekundärliteratur der A.- und der Antisemitismus- und Nationalismusforschung, geschweige denn der Originalquellen. Es wird weder auf die Pro- noch auf die Kontra-Argumente der vorausgegangenen universitären Diskussionen eingegangen, die auf der Uni-Homepage einsehbar sind. Besucherzahl und Verweildauer auf der A.-Seite: minimal. Die OZ titelt: „Tausende Klicks auf A.“ – im entsprechenden Artikel steht dann allerdings: „kaum einer liest sie“ (2.3.). Laut Pressestelle der Uni ist die Verweildauer auf Arndt gewidmeten Seite der Homepage 1 Minute.

Die Debatte ist A. kongenial insofern sie das antiintellektuelle Ressentiment seines Kirchenliedes „Ich weiß, woran ich glaube“, perpetuiert:

                Ich weiß, was ewig bleibet,

                Wo alles wankt und fallt,

                Wo Wahn die Weisen treibet

                Und Trug die Klugen prellt.

Hier wollen paradoxerweise Leute ihre und die vermeintliche Identität der Universität „retten“, die für die Forschung und die Wissenschaftler an dieser Uni nur Missachtung und Verachtung zeigen.

Erster Eindruck von der Debatte

Die Befürworter, die sich gerne als alteingesessene Pommern bezeichnen, verwechseln die Universität mit einem Traditionspflege-Verein („Schüddel de Büx“ oder so, an sich etwas Nettes). Die Universität ist aber nicht einer pommerschen Identität verpflichtet sondern internationalen Standards freier Wissenschaft. Wenn es in ihrer Verfassung heißt, sie lege u.a. einen Schwerpunkt auf die Erforschung regionaler Erscheinungen und historischer Zusammenhänge, dann tun das gerade die Kritiker A.s – es wird bloß nicht zur Kenntnis genommen. Oder es wird abgestritten, weil die Resultate nicht zu den herrschenden Vorurteilen, d.h. dem von der DDR vorgegebenen oder gar noch älteren A.-Bild passen. Deren Zustandekommen und Art haben erstens Wurzeln im Wilhelminismus, Hitlerismus und Stalinismus. Zweitens entsprechen sie mit ihrem Antiintellektualismus, Anti-Institutionalimus, dem Ressentiment gegen „Eliten“, ihrem Regionalchauvinismus etc. dem zur Zeit grassierenden (Rechts-) Populismus.

Ein penetranter AfD-Zungenschlag dominiert die Debatte auf unangenehme Weise! „Politische Korrektheit“ (27.1., 2.2., passim), „Gutmenschen“ (24.1., 27.1.), „Besserwisser“ (2.2.), „Westprofessor“ sind hier beliebte Negativbegriffe. Den Gegnern des Namens wird Wahnsinn, Unsinn, Starrsinn, Provokation, Dummheit und die falsche Abstammung attestiert: „Menschen, die sich solche Absurditäten ausdenken, stammen mit Sicherheit nicht aus Vorpommern“ (27.3.). „Studenten, die nur auf der Durchreise sind, aber den Pommern mal zeigen wollen, wo der Hammer hängt“ (30.1). Von einer „Attacke auf Deubel komm raus“ (25./26..3), von „Durchboxen“ (16.3.) und „Nacht- und Nebelaktion“ (2./3.) ist die Rede.

Die im Sinne der Namen-Befürworter parteiisch redigierte OZ bringt es auf der Titelseite vom 28.3. (vgl. auch Moritz, Mai 2017, S. 14f.) ins Bild, ohne sich davon zu distanzieren: Ein Mann hält ein Plakat hoch, auf dem steht:

Die Frage stellt sich, wer hier eigentlich selbsternannt und politisiert ist! Und was an „politisiert sein“ prinzipiell so verwerflich ist. Man vergleiche auch Leserbriefe, in denen die Senatsentscheidung als Kungelei im Hinterstübchen bezeichnet wird (11./12.2.) oder ein erneuter Beschluss befürchtet wird, der A. „durch die Hintertür hinausbefördert“ (26.5.). Ein Leserbriefschreiber verweigert ab sofort die Zahlung der Steuern, damit „sein“(!) Geld nicht der Uni zugute kommen kann (26.3.).

Die Lokalredakteurin verwendet, wenn sie über A. schreibt, jedes Mal den Textbaustein: „A., von dem es rassistische und antisemitische Äußerungen gibt (…).“ Andere bevorzugen die Wendung „A. wird vorgeworfen…“, um zu suggerieren, dass die Vorwürfe wahrscheinlich falsch sind. Wenn die OZ dann auf ihre redaktionelle Linie schwenkt und die Schleusen für Leserbriefe öffnet, entsteht der Eindruck, dass Rassismus und Antisemitismus bloße Bagatellen seien, um die man doch kein Aufhebens zu machen brauche. Dagegen ist die Vertreibung Napoleons von anno dazumal immer noch sehr wichtig! Man spricht von „Nazikeule!“, wenn aktuelle politische Implikationen von A.s Schriften und deren fatale Wirkungsgeschichte im Nazi-Deutschland thematisiert werden (22./23.4.). Man distanziert sich von political correctness (2.2., passim), akademischen Wortklaubereien und „Spitzfindigkeiten“ von Westprofessoren (16.2.), und Multikulti (1.3. passim).

Übrigens bildet die neuere Debatte um die Kasernennamen (und das Helmut-Schmidt-Foto in Reichswehruniform) die Arndt-Debatte ziemlich genau ab: Null Verständnis für die Brisanz und Relevanz solcher Namensgebungen und Symboliken – Hauptsache, was „bisher doch immer richtig war“, „keinen gestört hat“ und irgendwie zu unserer „Identität“ gehört, bleibt wie es immer war – selbst wenn es z.B. erst seit 1933 ist. „Die Tilgung des Namens der Kaserne in Hagenow wäre ein weiterer Kniefall vor der politischen Korrektheit und ein Ausdruck unseres schleichenden Identitätsverlustes. Die AfD lehnt diese unselige Bilderstürmerei ab“ (Pressemitteilung AfD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern vom 22.05.2017). Über die Kasernennamen ist die EMAU auch in den „Spiegel“ gelangt: es habe Widerstand aus dem Kanzleramt gegeben (20.5., S. 40). Das geht vermutlich auf eine kontrafaktische Einflüsterung eines Greifswalder CDU-Politikers zurück, der der Kanzlerin bei ihrem Greifswald-Besuch sagte, es sei bei der Entscheidung über die Namensabschaffung „nicht ganz demokratisch zugegangen“ (28.1). In seiner ironischen Schlusspointe über das Grollen aus dem Kanzleramt gibt der Spiegel gleich noch eine Geschmacksprobe vom Lyriker A.:

                Zu den Waffen! Zu den Waffen!

                Zur Hölle mit den wälschen Affen!

In einem Leserbrief an die OZ, der bis heute nicht gedruckt worden ist, zeige ich auf, welche Schindluderei von der „altehrwürdigen“ Uni Greifswald durch die Vereinnahmung A.s in der Nazizeit und, nicht viel besser, aber doch harmloser, während der DDR getrieben wurde (vgl. Anhang). Die gerne „altehrwürdige Alma Mater Gryphiswaldensis“ genannte hiesige Uni ist gewiss alt, aber sie ist durch den Namen, den sie während zweier Diktaturen getragen hat, nicht ehrwürdiger geworden. Es hat denn auch, seit ich hier bin, kein Rektor oder Dekan in einer (Fest-)Rede A. erwähnt oder gar als Leitbild und Vorbild für die akademische Jugend oder die Kollegenschaft zitiert – wohl aus gutem Grund.

Vertiefung zu einigen Syndromen der Debatte

a. Sehnsucht nach autoritärer Struktur, starker Führung, Zwangsmaßnahmen

„CDU fordert Ende der A.-Debatte“ titelt die OZ bereits am 13.12.2016! „Uni knickt vor Handvoll Studenten ein“ (24.1.), heißt es zum Senatsbeschluss vom Januar. „Mir ist unbegreiflich, dass viele Professoren im Kampf um den Namen (…) es nicht geschafft haben, die Studenten des Senats in die Knie zu zwingen“ (27.1., Extra-Beilage S. 5). „Zu meiner Zeit und anderer Leute Zeit war das so: die Professoren lehrten und die Studenten studierten“ (25./26.3)! „Herr Fassbinder hätte reden sollen“, der „OB läßt uns im Stich“ (10.2.). „Passiv verhält sich die Rektorin, die unbeeindruckt von der Protestflut (und auch von der Kritik der Bundeskanzlerin) sich hinter Regularien versteckt“ (11./12.2.). „Ein Wort noch an die Landesregierung, Pommern braucht die Unterstützung auch in diesem Fall“ (31.1.). Erhoben wird die „Forderung an die Kultusministerin, diesen nicht repräsentativen Minderheiten die Zustimmung zu versagen“ (28/29.1.). Man hofft auf eine „Intervention der Landesregierung“ (24.1.) Und man stellt sich die Frage: „(…) finden sich keine mit Vernunft gesegneten Verantwortlichen die diesem unsinnigen Treiben Einhalt gebieten“ (22.2.). Der Ruf ertönt: „Bremst den Starrsinn und den Wahnsinn“ (9.3.). Kurzum „Diese absurde Namensdiskussion sollte sofort ohne Umschweife beendet werden“ (27.3.).

b. Aberkennung der Legitimität des Senatsbeschlusses, Diffamierung des Senats

Im Zusammenhang des nicht genehmen Senatsbeschlusses ist die Rede von „Ignoranz und Dummheit“ (21./22.1.), von „Machenschaften“ (15.3.) eines „kleinen elitären Zirkels“ (27.1.), von „Hybris“ und „windigen Gesellen“ (11./12.2.), „Wichtigtuerei“ von „Professoren, die mit dem Hintern in der Sahne sitzen“ (14.2., 19.2.) von „Besserwisserei“ (2.2.), „Mauschelei“ (/.2.) und einem Streich im „stillen Kämmerlein“ (11./12.2.), von „Winkelzügen und Arroganz“ (14.3.), „Gruppenzwang von einigen Ideologen“ (10.2.) bzw. „Zeitgeist-Dozenten“ (14.2.), Foto: Jonas Greiten Foto: Jonas Greiten „Dogmatiker“ (2.2.) und „Flachschirm- Denker(n)“ (3.2.), „stur wie Alpen-Böcke“ (2.2.) und „intoleranten Dogmatikern“ (11./12.2.), Leuten mit „moralischem Holzhammer“ (11./12.2), „selbsternannte Gralshüter der politischen Korrektheit (…) fragwürdige Messlatte der political correctness“ ( Weber, AfD, im Landtag, LandtagsNachrichten M.-V., 3/2017). Man spricht von einer „einsame[n], von der Mehrheit der Bevölkerung (…) nicht mitgetragene[n] Entscheidung“ (Dr. G. Jess, AfD, ebda.), von „Hetze gegen den Firmennamen“ (29.11.16 und 17.1.). „Wem der Name nicht passt, braucht ja nicht hier zu studieren“ (ebda.). Es sei ein Beschluss „unter fragwürdigen Bedingungen“ und ohne „triftigen Grund“ gewesen (7.2.). „Hier haben Demokratie-Trompeter Willkür fabriziert. (…) verirrte Denker (…)“ (10.2.). Der Name der Uni sei „im stillen Kämmerlein debattiert worden“ (11./12.2.) und „per Beschluss zur Hintertür hinausbefördert worden“ (27/28.5.). Ein beispielloser Coup“ habe stattgefunden (21./22.1.) Ein Satiriker stellt fest: „Das Oberkommando der Uni gibt bekannt: Alles in Ordnung – das Recht sind wir“ (18./19.2.).

Sascha Ott, CDU, attestiert den mit A. befassten Professoren und dem Senat anlässlich der Demo am 11. und 12.2. ein „oberlehrerhaftes Weltbild“. Philipp Amthor rügt „Geschichtsexorzismus“, man dürfe nicht den Gott der politischen Korrektheit anbeten (13.2.).

Insbesondere werden die Legitimität und das demokratische Verfahren des Senats in Frage gestellt, da in ihm Studierende und Nicht-Pommern stimmberechtigt sind. „War er (der Senat) befugt? Wer ist das denn, der Senat?“ Die „Uniund Senatsleitung hätten das stoppen sollen“ (27.1.?). Es sei „undemokratisch, wenn nur wenige Leute, die teilweise kaum was mit Greifswald zu tun haben, solche Entscheidungen treffen können“ (24.1.). „Der Name unserer Universität kann nicht Sache einiger Zugereister sein“ (1.2.). Beliebt ist das Argument: „Gegner nicht mit Region verbunden“ (27.1., Extra-Beilage S. 3, 1.2.). „… dass die A.-Debatte (…) nicht eine Sache derjenigen zugereisten Professoren bleibt, die sich für den Namenspatron schämen“ (28./29.1.). „Von den 12 Professoren im Universitätssenat (…) kommt die übergroße Mehrheit nicht ursprünglich aus Vorpommern“ (25./26.3.).

Weiter wird die Berechtigung insbesondere der studierenden Senatsmitglieder abgestritten, sie werden mit „Kinder“ (14.3.) angeredet. „Hoffentlich gewinnen letztlich die Ehrlichen und Vernünftigen die Oberhand und der Studentenspuk ist bald zu Ende (9.2.). „Zu viel Mitbestimmung von Studenten“ (23.1.). „Was legitimiert diese studentischen Senatoren, im Namen der Greifswalder Studentenschaft zu sprechen und zu handeln? Eigentlich nichts. (…) Kein Mensch hat sie gezwungen, nach Greifswald zu kommen, wenn sie unter dem Namenspatron Ernst Moritz Arndt nicht studieren können“ (20.1.). „24 ‘Gutmenschen‘ entscheiden über die Köpfe aller Greifswalder hinweg“ (24.1). Wie den nichtpommerschen Hochschullehrern wird auch den Studierenden unterstellt, sich nicht mit Land und Stadt zu identifizieren, nicht über die Gegebenheiten informiert zu sein. Auffällig viele Briefschreiber betonen, dass sie und ihre Vorfahren in Greifswald geboren bzw. „Ur-Greifswalder“ (24.1.) und (Ur-)Pommern seien… Auch sind Rechenspiele beliebt über die Mehrheitsverhältnisse der Senatsgruppen und die Wahlbeteiligung bei der Senatorenwahl. „Welche Legitimation haben die zwölf studentischen Senatoren als Senatsdrittel?“ (1.2.) „26 Personen wissen also, was den Menschen in Greifswald bzw. der Uni gut tut?“ (16.3.) Es habe „unheilbare Formfehler“ gegeben (7.2.), Rechtsmittel werden eingelegt (24.2., 18./19.2.).Der wiederholte Hinweis von Uni-Seite, die Entscheidung sei im Sinne des Hochschulgesetzes und der repräsentativen Demokratie erfolgt, wird immer wieder mit „ja, aber…“ beantwortet (16.2., passim). Da kursieren eigentümliche Auffassungen und Definitionen von Demokratie (z.B. 25./26.3., vgl. auch Multhauf und andere Redner im Forum vom 21.4.) Es gibt die originelle Gradierung demokratischer, weniger demokratisch! Eigenartig ist es auch, eine wiederholte Abstimmung, in der ein früherer Beschluss revidiert wird, als undemokratische Manipulation anzuprangern (17.3., 25./26.3.). Es sei ein „Fehlverhalten der Rektorin“, die die Entscheidung von 2010 „nicht als endgültig angesehen hat“ (16.3.). Der vorhergehende Beschluss gilt als „demokratischer“ (Steigerungsform!). In einem ganzseitigen „Faktencheck“ der OZ vom 11./12.2. werden einige dieser Irrtümer zurückgewiesen, was die OZ aber nicht hindert, weiterhin Leserbriefe solchen Inhalts zu publizieren.

c. Das Kind mit dem Bade ausschütten

„Sollen wir Deutschen heimatlos werden?“ mittels einer „systematische[n] Entdeutschungspolitik“ durch Leute, die „auf Multikulti getrimmt sind“ (1.3.). „Deutschland gehört nicht den Vaterlandshassern“ (7.2.). „Die Universität, die Stadt Greifswald und das Land haben einen beispiellosen Identitätsverlust erlitten“ (21./22.1). „Wir sollten unsere geschichtlichen Wurzeln nicht ausreißen“ Dr. G. Jess, AfD, im Landtag). „Folgt sie (die Uni) dieser zeitbegrenzten Erscheinung der narzisstischen Entledigung störender Elemente, enthauptet sie sich ihrer institutionellen Aufgabe als höchstes Bildungsorgan“ (Brief der Emeriti an den Senat, vgl. OZ 8.11.16).

„Auch Goethe war ein Antisemit“ (31.1.). Und Luther (20.1.), die Bibel (15.3., passim), und Wagner (2.2., 27.1.). Und Bach und Schiller, … A. müsse dann eben aus dem Rubenow-Denkmal herausgeschnitten werden, heißt es larmoyant (24.1.). Die Reformation müsse rückgängig gemacht werden (24.1.). „Diese Uni ist nicht mehr meine Uni“ (24.1.). „Namenlos ist kulturlos“ (2.2,). Die Universität müsse aus dem Ortsschild von Greifswald entfernt werden.

Dazu wäre zu sagen, dass A. und andere historische Persönlichkeiten ja nicht aus der Geschichte „getilgt“ werden sollen, wie immer wieder unterstellt wird. Das versuchte die Rektorin – offenbar vergeblich – in ihrer Stellungnahme vom 10.2. klar zu machen. Niemand will „Vorpommern eines wesentlichen Teils seiner Kulturgeschichte berauben“, wie befürchtet wird (27.3.). Es geht nur um die Frage, ob A. als Namenspatron einer Uni nötig und tauglich ist, d.h. ob der Name schlaglichtartig signalisiert, wofür die nach ihr benannte Institution steht. Und ev. um die Frage, ob solche Patronate nicht ein alter Hut, ein Anachronismus aus autoritätsgläubigeren Zeiten sind. Weiter ist dazu zu sagen, dass die mit A. über einen Kamm geschorenen Persönlichkeiten in einer ganz anderen Liga spielten als unser Namenspatron. Sie stehen für bedeutende kulturelle Leistungen, während A. sein Lebenswerk dem Franzosenhass, Antisemitismus, Rassismus und deutschnationalem Chauvinismus und mediokrer Propagandadichtung für „den heil‘gen Krieg“ gewidmet hat. Schon seine Zeitgenossen sagten, dass der ‘Große Mann‘ sein Denken seit dem Kampf gegen Napoleon nicht weiterentwickelt habe. Sein Name, seine Wirkung stehen hauptsächlich für rückwärtsgewandte, schon bald dysfunktionale Deutschtümelei und idiosynkratischen aggressiven Fremdenhass.

d. A. muss in seiner Zeit gesehen werden? Alle haben damals so gedacht wie A.?

Bei dem Mantra, „A. war ein Kind seiner Zeit“ (2.2., 2.3., 2./3., passim), handelt es sich erstens um eine historiographische Maxime des Historismus (Ranke), die in der neueren Geschichtswissenschaft außerhalb der DDR längst als überholt galt (vgl. Stamm-Kuhlmann in Tietz, Hg.). Tatsächlich wird mehrmals von OZ-Lesern betont, man habe im Geschichtsunterricht – „bereits im ersten Semester“ – gelernt, alles in seiner Zeit zu sehen (2.2., 3.2., 14.2., passim). Ein ehemaliger Geschichtsstudent beruft sich u.a. auf den Zeugen Prof. Johannes Schildhauer. Schildhauers durch Ulbricht-, Engels- und Lenin-Zitate beglaubigtes A.-Bild kann in der Festschrift zum Jahr 1969 studiert werden (vgl. auch Anhang). Zweitens: Bevor heutige Historiker zur eigentlichen Analyse ansetzen, vergewissern auch sie sich natürlich ihrer Quellen und kontextualisieren sie in deren Zeit. Dabei stellt sich in Bezug auf A. jedoch heraus, dass die Entschuldigung A.s, die immer wieder vorgebracht wird, gerade nicht stimmt: Nicht alle „dachten wie er“, wie Götz Aly unterstellt! Arndt stieß vielfach auf massiven Widerspruch (Ruge: „Wo hat Arndt seine Gedanken?“), etwa was seinen Rassismus, insbesondere aber seine ständestaatlichen Vorstellungen (die auch dagegen sprechen, ihn als Demokraten anzusehen), seine Begeisterung für die Aristokratie und seine großgermanischen Eroberungspläne betrifft („soweit die deutsche Zunge klingt, und Gott im Himmel Lieder singt.“). Es war auch nicht so, dass „wir“ damals „keine besseren Demokraten hatten“, da fallen einem doch auf Anhieb ein Dutzend andere ein. In einem OZ-Interview hat der Literaturhistoriker Jan Süselbeck außerdem den klugen Satz gesagt: „Wenn etwas damals üblich war [z.B. Antisemitismus], heißt das nicht, dass es gut und richtig war“ (10.8.). Vgl. die Widerlegung von Götz Alys Behauptung durch die „Zeit“ (23.2.), die nicht verhinderte, dass die OZ diese weiterhin kolportierte (25.4.).

In diesem Zeit-Artikel von Benedikt Erenz steht auch, dass es überhaupt falsch ist, A. einen Demokraten zu nennen: „Der Bonner Professor (=A.) erträumte eine romantische Volksgemeinschaft mit einem starken Führer-Kaiser an der Spitze. Von moderner Parlamentsherrschaft hielt der Paulskirchenmann so viel wie heute ein Front-National-oder Ukip-Abgeordneter des Europaparlaments von einem vereinigten Europa.“

A. war also mitnichten „eine verdienstvolle fortschrittliche Persönlichkeit seiner Zeit“ (16.3., passim).

Abb.: aus dem Völkischen Beobachter, 25.5.1939

e. Überhaupt: Götz Aly…

Das groß aufgemachte OZ-Interview (25.4.) eröffnet Aly mit der Denunziation der Namens- Gegner: „Ihnen fehlt Demut vor der Geschichte (…). Sie halten sich für bessere Menschen, glauben an der Spitze des moralischen Fortschritts zu stehen. Aus solchen Einbildungen erwachsen Anti-liberalismus und Totalitarismus“. Einen Zusammenhang zwischen A. und der AfD herzustellen (Prof. Klüters Argumentation, 6.3.) sei „ungeschichtlich“. Als Pro-A.-Argument führt Aly an, A.s Wirkungsgeschichte sei imponierend: „Ihn beurteilen so viele unterschiedliche Deutsche 200 Jahre lang positiv.“ Aber er sagt nicht, dass diese Hochschätzung A.s zur Vorgeschichte und Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust gehört. Und dass die Vereinnahmung A.s durch die DDR sich einer Geschichtsklitterung verdankt. Eine rote Linie angesichts von Antisemitismus setzt er erst nach dem Holocaust an, A.s Antisemitismus wäre also nichts vorzuwerfen. War der Holocaust einfach so aus dem Nichts plötzlich entstanden?

Prof. Stamm-Kuhlmann würde entgegnen: „Geschichte kann immer nur betrachtet und geschrieben werden von einem gedachten Ende her (…)“. Man dürfe sich nicht „künstlich verdummen“, „Es ist (…) schlechthin unmöglich, die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts zu betrachten, und dabei unser Wissen über den Nationalsozialismus nicht ins Spiel zu bringen“ (in Tietz, Hg. 2003, S. 209).

Aly erwies sich bei seinem Auftritt in Greifswald insofern doch als ernst zu nehmender Historiker, als ihm die Greifswalder Eiferer für A. dann doch peinlich wurden. Anstatt einer Verteidigung A.s gab er ihnen eine Lektion über Antisemitismus und die Verflechtung der Greifswalder Uni in diesen zu Nazizeiten. Die OZ musste titeln: „Versuchen Sie doch einmal nachzugeben“! Den Totalitarismus-Vorwurf gegen die Befürworter der Namensablegung, den ihm die OZ im Interview in den Mund gelegt hatte, richtete er umgekehrt nun in der Aula an die Befürworter des Namens!

Auch Robert Oldach spricht von der „unbestreitbaren Wirkmächtigkeit des Namenspatrons“ (23.5.), ohne politisch qualitative Spezifikation dieser fatalen Wirkung vorzunehmen (23.5.). In der kritischen Ausgabe von Hitlers Mein Kampf werden des Führers Rede von der Erbfeindschaft zu Frankreich und seine Phobie vor Bastardisierung der deutschen Rasse auf Arndt zurückgeführt!

Ein neuerer Greifswalder Aufsatz von Niels Hegewisch stellt die beliebige Verfügbarkeit von A.s Gedanken für die unterschiedlichsten politischen Systeme dar und sieht in ihr gerade das Problem (in: Hegewisch et al., Geschichtswissenschaft in Greifswald, Stuttgart 2015, S. 189-213). Auf die gegenwärtige Situation bezogen, gilt Hegewischs Satz: „[E]s verfügen auch die lange etablierten Narrative [zu A.] nicht mehr über die vertraute Selbstverständlichkeit. Die Reaktion darauf ist bisweilen schrill“ (S. 212).

Es gibt noch den Satz von Niels Jörn, wenn man A. nicht auf seine Bedeutung für die Moderne prüfe, dann sei er weg aus der Geschichte (13.3.). Arndt versuchte das Rad der Geschichte zurückzudrehen zu Ständegesellschaft und „heil‘gem Krieg“. Aber ja doch, es gibt eine Spielart der Moderne, die zu Stalin, Mussolini und Hitler führte, zu deren Vorgeschichte gehört A., und das ist durchaus erforscht und in der Geschichtsschreibung dokumentiert. A. ist nicht in Gefahr „weg aus der Geschichte“ zu geraten, nur weg aus der apologetischen Geschichtsschreibung, wie sie in der DDR vorgeschrieben war, der Heldenverehrung!

Beliebt ist es in diesem Zusammenhang allerdings auch, die Wirkungsgeschichte A.s von seinen Intentionen abzuspalten. A. habe die Perversion des deutschen Nationalismus und Rassismus nicht miterlebt und voraussehen können. Das ist die eigentliche Geschichtsblindheit, die gerade von den Vertretern dieser Argumentation gerne den Kritikern A.s und Gegnern des Uni-Namens vorgeworfen wird!

Die skandalösen Äußerungen und fatalen Wirkungen A.s werden, wenn sie überhaupt eingeräumt werden, „der Zeit“ angelastet (24.1, passim), während die als positiv geltenden als seine ureigensten ewigen Verdienste gewürdigt werden. Prof. Westmeyer zeigt auf, wie diese Aufspaltung zur moralischen Diffamierung und Diskriminierung von kritischen Debattenteilnehmern dient, die das Negative und bis heute Virulente und Gefährliche an A.s Gedanken nicht bagatellisieren und entschuldigen wollen (15.3.).

f. Erinnerung an die Wirkungsgeschichte als „Nazikeule“ (22./23.4.)

Die populistischen Reihen schließen sich

Die angeblich positiven Aspekte von A.s Wirken werden wirkungsgeschichtlich gewürdigt (Kritik der Leibeigenschaft, Vertreibung Napoleons, Eintreten für Freiheit, deutsche Einheit). An die dominanten negativen geschichtlichen Strömungen, an denen A. beteiligt war, den anachronistischen Ideen, die er zeitlebens propagierte, möchte man nicht erinnert werden. A. habe die Folgen seines Wirkens nicht voraussehen können (18./19.2.). Von heutigen und gestrigen Nazis und AfD-lern, die sich auf A. berufen und beriefen, distanziert man sich beleidigt. Wenn ihnen völkische, populistische Denkmuster in den eigenen Debattenbeiträgen nachgewiesen werden, weisen die Namensbefürworter dies empört von sich: „Kein Schulterschluss mit rechter Szene“ ( ). „Gegner werden in die rechte Ecke gedrängt (…) Eine Ohrfeige für alle, die an der Uni tätig sind (…) Nun sollte das Maß voll sein“ (25./26.3.).

Parteibüro der NPD in Anklam

Entweder ist dieser Protest heuchlerisch; oder er verwendet den rechtspopulistischen Jargon gedankenlos und fahrläßig.

In meinem Gutachten für den Senat von vor sechs Jahren schrieb ich von dem Misslichen, dass eigentlich nur die Neonazis ihren A. gelesen haben und brauchen können. Heute haben sich die Neonazis von damals in der AfD den Tarnanzug des „besorgten Bürgers“ angezogen und lassen ihr Geschäft von Vertretern der Linken und der CDU mit besorgen. Diese haben ihren Jargon und ihre Strategien und Praktiken übernommen und propagieren populistische Vorstellungen von Demokratie/ Demokratie-Kritik – nach dem Muster „ja, aber“. Auf dem Marktplatz werden Bürgerschaftsmitglieder, die in der Abstimmung über eine Resolution nicht bereit waren, die Autonomie der Uni anzutasten, namentlich dem Gejohle der Menge überantwortet (7.3.). Hochschild (CDU) erhält die Zustimmung der AfD (7.3.), Liskow (CDU) applaudiert im Audimax Herrn Multhauf (Die Linke). RCDS (Ralph Weber wirbt um ihre Stimmen 13.2.), FFDG und eine völkisch-nationale „BI Das ist unser Ernst“ sowie die Identitären (6.2.) sammeln Unterschriften, bilden Bürgerinitiativen, die Ballons aufsteigen lassen, Rosen niederlegen, Mahnwachen abhalten, als ginge es um eine große Menschheitskatastrophe.

Die Landtagsdebatte fand auf Antrag der AfD statt, (die Greifswalder CDU hatte ebenfalls einen Antrag angedroht), und Prof. Ralph Weber, AfD, erhielt in der Debatte argumentative Unterstützung von Franz-Robert Liskow (CDU) (LandtagsNachrichten M.V., 3/2017)

Eine Online-Petition „des Greifswalders Martin Ewert“ verzeichnete laut stolzer Meldung der OZ bereits nach wenigen Tagen 2000 Unterzeichner (26.1.). Am 9.2. sind es 2.900, und die OZ nimmt Abstand von dieser völkischen „BI Das ist unser Ernst“. (Die OZ hat nicht recherchiert, wo die automatisierten Antworten ihrer und der LHV-Umfrage herkamen. Interessant wäre übrigens auch gewesen, von einem wachen, investigativen Journalismus zu erfahren, wer denn überhaupt die LHV-Umfrage angeregt hat?)

g. Die „Identität“ der sog. Emeriti und ihr Arndt-Mythos

Eine Gruppe, die sich besonders hervortut in ihrem Engagement für den A.-Namen, sind die „Emeriti“ – eigentlich eher eine Seilschaft von Ex-DDR-Uniangehörigen: „Westprofessoren“ sind ausgeschlossen. Vor allem diese „Emeriti“ – es sind auffällig viele Naturwissenschaftler darunter, also eigentlich keine Fachleute für A. – behaupten, ihre Identität, die „pommersche Identität“ schlechthin (16.3.), ausschließlich dem A.-Namen zu verdanken. „Sie haben uns unseren A. weggenommen“ (16.3.). Ihre Bitterkeit infolge der Entwertung ihrer Lebensleistung in der DDR seit der Wiedervereinigung mag psychologisch nachvollziehbar sein (vgl. den OZ-Artikel mit einer „Analyse“ von Olaf Georg Klein, 21.4.). Ebenso die Nostalgie, die sie einer Zeit nachtrauern lässt, als alles einfacher schien.

Nicht nachvollziehbar und glaubwürdig hingegen ist die Versicherung der „Emeriti“, durch die Bank DDR-kritisch eingestellt gewesen zu sein und die Kraft und den Mut zum Widerstand vom Vorbild A. bezogen zu haben. Im Geiste von A.s Katechismus für Soldaten, habe man der DDR den „Fahneneid“ wegen inhumaner Ziele „verweigert“ (10.5.). „Für uns, die nicht dem ‚DDREstablishment‘ angehörten, war A. (…) eine Lichtgestalt“ (8.11.2016.).

Woher kommt dieser Mythos? Stamm-Kuhlmann betitelt einen Aufsatz, der soeben in der Zs. f. Geschichtswissenschaft, 6/2017, erschienen ist: „Die Freiheitskriege als Geschichtspolitik der DDR“! Nach dem Ende des Hitlerismus war die Uni ein paar Jahre ohne A.-Namen. Als der gleiche Theologen-, der A. damals als Nazi vorgeschlagen hatte (genau genommen war er beim „Stahlhelm“ und erst 1934 bei der NSDAP), jetzt als SED-Genosse den Namen erneut beantragte, nahm man sich, wie Prof. Stamm-Kuhlmann zeigen und belegen konnte, in Berlin viel Zeit. Man konstruierte eine Geschichtsfälschung, die es möglich machte, den Liebling der Nazis jetzt für den DDR-Sozialismus zu beerben. (Es gibt übrigens dazu auch einen Aufsatz von Alvermann in Tietz, Hg. 2003 und einen OZ-Artikel von Oberdörfer (4./5.3.), die den Komplex behandeln, aber dabei jegliche politische Brisanz vehement abstreiten.) Wie zu Napoleons Zeiten, war jetzt die DDR durch die USA und den Westen überhaupt in Gefahr geknechtet zu werden, bzw. die Einheit Deutschlands, für die A. eingetreten war, musste wieder hergestellt werden. Zitat Stamm-Kuhlmann: „Hatte man aber Stalins Prämissen akzeptiert, bot die Geschichte der Überwindung Napoleons symbolisches Kapital, das man in der DDR einsetzen wollte, auch, wenn der Feind nicht mehr Napoleon, sondern NATO hieß. Für dieses Ziel war die SED auch bereit darüber hinweg zu sehen, dass Ernst Moritz Arndt Sozialisten und Kommunisten als ‚die hirntollsten politischen Vagabunden (bezeichnete), alles verrückteste und verworfenste socialistische und kommunistische Gesindel‘ “. In diesem Zusammenhang nun wurde A.s Buch über die Leibeigenschaft als eine seiner zentralen Leistungen hingestellt; sehr vieles andere in seinen Schriften konnte man nicht brauchen. A.-Ausgaben wurden entsprechend amputiert.

Wenn die OZ heute schreibt, A. sei tief in der Bevölkerung verwurzelt (31.1., passim), dann behauptet sie eine nachhaltige Wirkung des DDR-kommunistischen (=stalinistischen) Arndt-Mythos.

Der „Erfinder“ dieses Mythos, der Historiker Albert Norden, wurde 1954 Sekretär und Staatssekretär des Ausschusses für Deutsche Einheit und Mitglied im Präsidium des Nationalrates der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland sowie 1955 Mitglied im Zentralkomitee der SED. Er hatte entscheidenden Anteil an der Gestaltung der Deutschlandpolitik der SED. Das Staatssekretariat für Hochschulwesen der DDR empfahl am 13. 8. 1954 der Uni Greifswald in Reden, in wissen- schaftlichen Arbeiten der Historiker, etc., „das große patriotische Streben und Wirken EMAs zu erläutern und aus deren Darstellung anspornende Kraft für die Erfüllung unserer gegenwärtigen Aufgaben zu gewinnen“ (zitiert aus Stamm-Kuhlmann. Vgl. auch Alvermann in Tietz). Es sei klar, schreibt Stamm-Kuhlmann, „dass die Propagandawirkung der Person Ernst Moritz Arndt im Kalkül der SED eingeplant war. Dies galt auch für Greifswald und erklärt, warum es auf die Dauer keinen Widerstand der DDR-Regierung dagegen geben konnte, dass Ernst Moritz Arndt wieder Bestandteil des Universitätsnamens wurde.“ Dazu gibt es auch einen Leserbrief von Werner Buchholz (2,/3.9.).

Die „Emeriti“ hätten also das von Partei und Regierung verordnete, gefälschte Identifikations( an)gebot zum Widerstand gegen diese umfunktionalisiert?

h. Abschaffung der Leibeigenschaft?

„A. setzte sich erfolgreich für die Abschaffung der menschenunwürdigen Leibeigenschaft ein“ (27.3., 22./23. 4.). Woher haben die Briefschreiber das? A. behauptete später in einer autobiographischen Schrift, er sei starken Angriffen ausgesetzt gewesen wegen seines Buches über die Leibeigenschaft. Die OZ bezeichnet es als „eines der bekanntesten Bücher A.s“ (23.5.). Beides ist falsch. Uno Willers, in seiner faktenstrotzenden schwedischen Diss. (524 Seiten, 1945), wollte die spätere autobiographische Aussage über den schweren Kampf A.s belegen. Willers fand keine einzige Quelle, die sie bestätigte. Werner Buchholz (vgl. Tietz, Hg.) hat dargelegt, dass es sich um eine sog. Klientelschrift handelt, mit der A. sich beim schwedischen König (in Schweden gab es keine Leibeigenschaft) für eine Karriere empfahl. Der Erfolg blieb nicht aus. A. erhielt ein Reisestipendium nach Schweden und den Auftrag, ein Buch über Schweden zu schreiben, das das Land in ein positives Licht rücken sollte. Was A. tat, indem er sogar die Lappen/Sami positiv zeichnete, wo man erwartet hätte, dass sie vom notorischen Rassisten A. – wie die Indianer und Slawen – als dreckig, hässlich, faul und geistig zurückgeblieben bezeichnet würden. Und schließlich wurde A. königl. schwed. Professor mit Unterstützung des schwedischen Generalgouverneurs und Kanzlers der Universität Greifswald, Hans Henrik von Essen, dem er das Buch über die Leibeigenschaft gewidmet hatte. Und war in Privataudienz bei Gustav IV. Adolf von Schweden. Klientelismus war damals normal. Aber es ist eben doch eine andere Erzählung als die Mär von A., der zur Abschaffung der Leibeigenschaft beigetragen habe und dafür sogar verfolgt worden sei.

Die Leibeigenschaft in Schwedisch Pommern wurde dann in dem Moment abgeschafft, als das Alte Reich sich auflöste, und der schwedische König nicht mehr als deutscher Reichsfürst von den Reichsgerichten gestoppt werden konnte. A. hatte daran nur insofern Anteil, als er mit der deutschen Übersetzung der neuen Gesetze für Vorpommern betraut wurde.

i.Arndt und die Pressefreiheit

Ja, A. ist zeitweise für die Pressefreiheit eingetreten. Aber er hat auch über politische Publizisten geschrieben – und das wurde von Greifswalder Nazi-Professoren nach der Namensverleihung zustimmend zitiert (es kann u.a. in meinem unveröffentlichten Leserbrief im Anhang nachgelesen werden): „Nichts hat die Weiber mehr verdorben, als dieses elende Geschmeiß […]. [D]iesen hündischen und füchsigen Schurken möchte man ins Gesicht speien und die Stimme verfluchen, die sie das erste deutsche Wort gelehrt hat.“ Das Zitat ist auch eine Probe von A.s gerne gerühmter „kernigen“ Schreibweise und von seiner Attraktivität bei Leuten, die heute gerne von der Lügenpresse reden.

Großes Interesse für A. im Dritten Reich. Eine von 10 Seiten Rezensionen 1939 aus den in Greifswald redigierten Baltischen Studien

j. Arndt und die Freiheit, die moderne Gesellschaft? War Arndt ein Demokrat?

Fast 50 Jahre nach der Französischen Revolution und acht Jahre vor dem Kommunistischen Manifest vertrat A. in seinen Erinnerungen aus dem Äußeren Leben, 1840, eine ständische Gesellschaft mit Zunftzwang und freiwilliger, dankbarer Unterordnung der Ärmeren unter die patriarchalisch für sie sorgenden, von Natur aus herrschenden Adligen und Reichen. Man reibt sich die Augen, wie so oft, wenn man A. liest: „Auf dem Lande wohnen, wie auch in der Stadt, zwei Arten von Menschen: Reiche und Arme, Gebildete und Ungebildete, Adel und Bauern – die einen zum Befehlen und Regieren, die andern zum Gehorchen und Dienen. Der Reichere, Vornehmere, Gebildetere ist der geborne Helfer des Armen, Geringeren und Ungebildeteren. Aus Dankbarkeit leistet ihm dieser Dienst, kurz er erkennt seine Abhängigkeit als ein Glück und eine Wohlthat. Daß seine Person an einen festen gewissen Ort gebunden ist [Schollenbindung], macht ihn still und sittlich, und beschränkt Wünsche und Begierden, welche ihn nur wüst und unglücklich machen würden. […] Kurz, dieses Verhältniß hat für die Sitten und den Wohlstand der niedrigeren Klassen die wohlthätigsten Folgen. (…) es ist das natürlichste, menschlichste, patriarchalischeste Verhältniß, dessen Zwang und Schranke für den Gezwungenen und Beschränkten nur wohlthätig ist.“

Wo in Deutschland und in Frankreich Bauern befreit worden sind – A. setzt den Begriff befreit sozusagen in Anführungsstriche, indem er von „französisch erlöst“ spricht – seien entwurzelte, zuchtlose Menschen entstanden, die allenfalls dazu beitragen „daß mehr Menschen gezeugt werden“. Das sei ein Menschenschlag, „an keine feste Gewohnheiten und Sitten geknüpft, endlich ein Mensch ohne Heimath, unstät an Trieben, unstät in Gesinnung, leichtfertig und vaga-bundisch“.

Über Industrialismus und Fabrikarbeiter – „Pöbel“ – hat A. u.a. zu sagen: „(Es) ist nichts leichter, als ein Volk von Bettlern und Streunern zu machen (…). Wir könnten uns durch unweise Einrichtungen gleich den Briten mit Bettlern überladen, aber sie zu füttern mögte uns so leicht nicht werden als ihnen, und todtschlagen dürfen wir sie nun einmal doch nicht“.

Sind das nun Weichenstellungen zur Moderne? „Wir“ – auf welcher Seite stand A.? Sind dies die „Attribute, die uns heute als zentrale Marksteine unserer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich erscheinen“ (Jura-Professor Ralph Weber (AfD) in der Landtagsdebatte)? Was A. von der Demokratie hält, geht u.a. aus seiner Schrift Pro Populo Germanico von 1854 hervor: „Demokraten? Das ist ein Namen, womit man gottlob in Deutschland nimand mehr totschlagen kann, wenn die Dummheit und Bosheit gleich gewohnt ist, […] unter dem Titel Demokrat, der ein Schimpftitel sein soll, alle hirnstollen politischen Vagabunden und verworfenste sozialistische und kommunistischen Gesindel mit einzuzeichnen.“

k. Erinnerungskultur, der Name der Uni als „Stachel im Fleisch“?

Nach all dem Gesagten ist „Erinnerungskultur“ (3.5., passim) offensichtlich gerade nicht gewünscht. Und – a propos A. als „Stachel im Fleisch“ (27.1., passim, auch Götz Aly im Interwiew, 25.4.) oder „Stolperstein“ (13.1.) – ein Uni-Namenspatron oder Uni-Name ist nun mal kein Folterinstrument für Masochisten und Flagellanten! Ein Name mit Beipackzettel ist unmöglich, wie einer der wenigen Gegner des Namens, die in der OZ zu Worte kamen, bemerkt (9.3.). Oder sollte es etwa heißen: „Ernst-Moritz- Arndt, der vielfach Umstrittene und Instrumentalisierte Universität“? (27.1.) Nach dem unter Punkt g. gesagten wäre der A.-Name ohnehin nur ein Erinnerungsort an die DDR-Geschichtsfälschung, während einige Ewig-Gestrige dem Arndt des Dritten Reiches nachtrauern, siehe Foto oben.

Ebenso wenig interessiert man sich für historische Forschungsresultate an unserer heutigen Uni. Immer wieder steht in der OZ, von Leserbriefen oder politischen Parteien vorgetragen, „Wo und wann hat die versprochene wissenschaftliche Auseinandersetzung mit A. stattgefunden?“ ( 31.1., 24.1., passim). Prof. Bach fordert „seriöse Geschichtsschreibung“ (16.1.). Werner Buchholz hat dagegen gesetzt, dass er als direkt zuständiger Fachvertreter über 20 Tagungen durchführte und 300 Publikation zur Geschichte Pommerns schrieb bzw. veranlasste (27./28.5.). Andere könnten sich anschließen. Ich verweise außerdem auf das Literaturverzeichnis in meinem Gutachten für den Senat von 2010, das über die Internetseite der Uni jedem Teilnehmer der Debatte hätte zugänglich sein können, u.a. mit den Sammelbänden von Karl-Ewald Tietz (Hg.), EMA im Widerstreit der Meinungen, Hefte der EMA- Gesellschaft 8/2003, und Walter Erhart/ Arne Koch (Hgg.), Ernst Moritz Arndt (1769- 1860). Deutscher Nationalismus – Europa – Transatlantische Perspektiven, Tübingen, 2007. Als ein Gastwissenschaftler in einem OZ-Interview sich kritisch zu A. äusserte und es normal fand, dass die Uni den Namen ablegen möchte, versah die OZ einen empörten Leserbrief mit der Überschrift „Unnötige Belehrung“ (29.8.), und ein pensionierter Uni-Professor versuchte den interviewten Literaturhistoriker unglaubwürdig zu machen, indem er ihn einen „älteren Nachwuchswissenschaftler auf Wanderschaft“ nannte (25.8.).

Spurenelemente einer Kenntnisnahme des Forschungsstandes und speziell der neueren Greifswalder Arbeiten sind in der Debatte nicht auszumachen. Möglicherweise geht allerdings die Rede von der Erinnerungskultur und vom Stachel im Fleisch auf das Pro-Gutachten von Alvermann und Garbe von 2010 zurück, das 2011 gar als Buch erschien: Irmfried Garbe (Hg.), „Ernst Moritz Arndt, Anstöße und Wirkungen“?

Abb.: http//www.goethezeitportal.de/index.php?id-3993

l. Die OZ-Kampagne

Mit über Monate fast täglichen redaktionellen Beiträgen, Interviews und Leserbriefen vom 23.11. 2016 bis Anfang Mai 2017 – allein bis zum 24.3. 195 Briefe –, wurden in der OZ der Name der Uni und die Person A.s diskutiert. Es gab Extraseiten und Extrabeilagen, Feuilletonähnliche Artikel von E.O. (Apropos über Groß Schoritz, über das von Berthold Beitz zu DDRZeiten der Uni geschenkte A.-Porträt (3.5.), etc.) und großformatige Fotos und Fotomontagen oft auf der Titelseite des überregionalen wie des Greifswalder Teils. Sie zeigten ein zerrissenes Hauptgebäude und immer wieder große A.- Köpfe in Öl, Bronze und Gips. Mit fetten Überschriften und Schlagzeilen sorgte die OZ dafür, dass die „Debatte um A. (unvermindert) weiter (geht)“ (28./29.1). Sie findet: „Aus für EMA: ‚Einfach lächerlich’“ (20.1.), bejubelt „Etappensieg für die Freunde des Patrons“ (8.3.), sieht „Eine schlimme Provokation“ (9.3.), konstatiert „Große Mehrheit ist für A.“ (11./12.3.) und „Für und Wider – kein Ende in Sicht“ (14.3.) und „EMA bewegt die OZ-Leser“ (24.1.). Die „Flut an Leserbriefen zu EMA reißt nicht ab. Angriffe, Analysen und Antisemitismus“ (15.3.). „Nazikeule gegen A.“ (22./23.4.), „Götz Aly in Greifswald: ‘A. gehört zu Deutschland’“ (27.4.). Es gibt in der OZ auch unfreiwillige Komik und unvermutete Selbsterkenntnis: die Stasi habe ja auch nichts gegen A. gehabt (24.1.), und „In der DDR gab es kaum Zweifel an A.“ (Oberdörfer, 27.3.). Man habe mit der A.-Verehrung einen Regierungsauftrag von 1954 erfüllt (27.3.)! Letzteres stimmt tatsächlich, s. oben, Punkt g. Aber was sagt es dem Leser? Durch die A.-Propaganda und deren Tonfall gerät der Lokalteil in Widerspruch zum überregionalen Teil der Zeitung und zur redaktionellen Linie in Rostock, die Völkischen Nationalismus, Rassismus und Rechtspopulismus ablehnen.

m. Beide Seiten haben sich im Ton vergriffen?

Die OZ unterlässt es, abgesehen vom Fakten- Check (11./12.2.), Irrtümer und falsche Beschuldigungen und politische Entgleisungen ihrer Leserbriefschreiber zu korrigieren, was ja vielleicht zu den Aufklärungsaufgaben einer seriösen Zeitung gehören sollte. Insbesondere gilt dies auch für die wiederkehrende Aussage – zuletzt von Staatssekretär Dahlemann –, beide Parteien hätten sich in der Debatte zu Beschimpfungen hinreißen lassen (23.5.). Von der Seite der Gegner des 1933-er Uninamens habe ich keine Entgleisungen entdecken können. Aus dem Faktencheck der OZ vom 11./12.2. geht hervor, dass die Zeitung einige Leser aufgefordert hat, „ihre Meinung moderater zu formulieren (ausschließlich Arndt-Befürworter)“. Dazu hätten auch Beschimpfungen unter der Gürtellinie gehört wie „alternder Nachwuchswissenschaftler auf Wanderschaft“ (25.8.).

n. KMM

Die Motivation der OZ und der Parteien (ohne die Sozialdemokraten und Grünen) für ihr starkes Engagement für den angeblich alten Namen der Uni hat ihre Ratio in der Gewinnung von Leser- und Wählersympathien am rechten Rand der Gesellschaft, wenn sie mit Vorurteilen, populistischen Denkmustern und Anti-Wessi-Ressentiments spielen. Nicht verstehbar ist für mich das Engagement der Uniprofessoren KMM, einer davon Altrektor, die mit Rechtsmitteln, Fake News über LHV-Umfrage (24.3), Drohungen, Rufen nach starkem Mann, sarkastischen Satiren, Unterstellungen, dem Vorwurf der „Unseriosität“, „Taktlosigkeit“, „Missbrauch“ und mit klinischen Diagnosen („Wahnsinn“) sich zu Lieblingsgewährsleuten der OZ machen lassen und ihre Unileitung permanent desavouieren. „Ohne neue Personen an der Spitze wird es kein Vertrauen geben“ (18.4.). „Missbrauch des Immatrikulationsrechts“ (12.5.) (Weitere Beleg: 18.4., 12.5., 27./28.5. passim).

Wer hat wohl die drei für die Ehrennadel der Stadt vorgeschlagen (16.3.)?

Wenn jemand, dann schaden diese Herren ihrer Uni. Wenn sie befürchten, unsere Uni werde in ganz Deutschland und darüber hinaus zum Gespött, weil sie ihren kompromittierten Namen endlich ablegen möchte (9.3.), wird diese Furcht durch die Teile der Presse und des Internets, die ich nutze, widerlegt: Die Zeit (23.2.), die Welt, die Berliner Zeitung (abgesehen von Alys Artikel, der auch in der Stuttgarter Zeitung abgedruckt wurde), FAZ („Wie die Vernunft der gefühlten Wahrheit weicht“, 11.6.), FR jedenfalls halten die Namensablegung für richtig und begrüßen sie, man kann das leicht googeln.

o. Verständnis für, Zustimmung zur Rückkehr zum alten Namen

Es gibt durchaus, wenn auch in der eklatanter Minderheit, immer wieder besonnene und gut informierte Leserbriefe, die die Bestrebungen, den kompromittierten A.-Namen abzulegen, nachvollziehen können oder begrüßen. Hier nur ein paar: 20.1., 16.2., 1.3., 4./5.3. Eine leider stark zurückgedrängte Stimme aus der OZ-Redaktion gehört auch dazu, Kai Lachmann, der die „Grabenpflege auf dem Marktplatz kritisiert (6.3.) und die Überlegung ins Spiel bringt, dass, wenn man heute einen Namen für unsere Uni suchen würde, sicher niemand auf die Idee käme, A. zu wählen – eigentlich die einzig richtige Auffassung: Es geht um heute!

p. Was ganz vom Tisch ist

Namenspatrone von berühmten Kulturpersönlichkeiten wurden zu autoritätsgläubigeren Zeiten gewählt, um das Leitbild der betreffenden Institution schlaglichtartig kund zu tun, um den Patron zu glorifizieren und die Schriften des Patrons den Mitgliedern als Verpflichtung und Ansporn vor Augen zu halten. Diese anachronistische Gepflogenheit wird aus guten Gründen in der A.-Debatte von keiner Seite mehr ins Spiel gebracht. Erstens, eben weil sie antiquiert ist: uns, d.h. den heutigen Hochschullehrern und Studierenden, ist die Autoritätsabhängigkeit und Heldenverehrung – A. als „Lichtgestalt“ (die Emeriti, 8.11.2016) – abhanden gekommen, wir vermissen sie nicht. Zweitens ist es nachgerade auch bei den meisten der Anhänger des A.-Namens angekommen, dass ihr Namenspatron tatsächlich und unleugbar umstritten ist. „Zu den reizvollen[!] Seiten des Erinnerungsortes Ernst Moritz Arndt gehört seine schillernde Multiperspektivität“, heißt es im Vorwort zum schon erwähnten Buch „Ernst Moritz Arndt. Anstöße und Wirkungen“, in dem tatsächlich auch von „gefährlichen und maßlosen Entgleisungen“ die Rede ist (S. 379). „Dass A.s Wirken auch dunkle Seiten habe, das ist hinreichend bekannt und darf auch nicht verschwiegen werden“ (Die Emeriti an den Senat. vgl. OZ, 8.11.). A. habe lange gelebt und deshalb viel gesagt, man dürfe nicht „jedes Wort auf die Goldwaage legen“ (Franz-Robert Liskow, CDU, in der Landtag-Debatte). A. war „ein Mann mit Ecken und Kanten“ (7.1.) Am 18.1. – vor der Abstimmung im Senat – brachte die OZ eine Collage mit teils plausiblen, teils haarsträubenden A.-Zitaten.

Deshalb tut man sich so schwer mit einer inhaltlichen Begründung für die Notwendigkeit des Namens und weicht stattdessen am liebsten auf Schmähungen der kritisch Denkenden und auf Rechtsmittel gegen Formfehler aus.

Schlussfolgerungen aus der Analyse

Die Ablehnung eines runden Tisches und Ähnlichem zu einer breit geführten Debatte um A. erscheint richtig. Solche Veranstaltungen haben bisher nicht zu einem Konsens geführt, und wie sollte ein Kompromiss denn aussehen? „Tritt man auf den Quark, so wird er breit aber nicht stark“ (24.3.), wie ein Leserbriefschreiber, der das auch so sieht, sagt. Bis jetzt erweisen sich die Befürworter des A.-Namens als resistent gegenüber Argumenten und Forschungsergebnissen, bzw. sie weigern sich den Sachverhalt zu Ende zu denken und Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie berufen sich auf eine „Identität“, die von einem Bauchgefühl und einer DDR-Geschichtsfälschung bestätigt ist: auf Fehlinformation, Halbwissen und unverdautes Schulwissen. Oft wirken die Inanspruchnahmen A.s wie vorgeschoben, um Frustrationen und Traumata wegen der Wende abzureagieren.

Die AfD in der Landtagsdebatte sieht es richtig. Es geht u.a. tatsächlich „um die Deutungshoheit über ideelle Werte wie Patriotismus und regionale und nationale Identität“ (Dr. Gunter Jess). Hat die Universität dazu nichts beizutragen? Soll sie das der AfD und deren klammheimlichen Sympathisanten überlassen? Allerdings: eine Universität ist bei der Deutung ihrer ideellen Werte nicht auf den engen Horizont nationaler oder lokaler Tradition und Identität einzuschnüren. Sie muss weltweiten Standards freier Wissenschaft, der Wissensmehrung und Wissensvermittlung gerecht werden. Ihre Professoren und Studierenden kommen denn auch – selbstverständlich – aus allen Teilen des Landes und der Welt.

Anhang: Leserbrief, den die OZ nicht abdrucken wollte

Seit ich hier bin, das sind jetzt 23 Jahre, hat kein Rektor, Dekan oder sonst ein in einer programmatischen Äußerung oder in einer Festrede sich auf Arndt bezogen oder Arndt zur Erbauung oder moralisch-politischen Ermahnung der studierenden Jugend und der lehrenden und forschenden n zitiert. Das war einmal anders. Hier ein Beitrag zur Erinnerungskultur:

Als Hermann Göring 1933, im Jahre der Machtergreifung Hitlers, der Universität Greifswald auf Antrag des Kollegiums den Namen Arndts verlieh, war das eine bewusste politische Entscheidung. Professoren und Studierende wollten sich vom Geiste Arndts durchdringen lassen, in seinem Geiste kämpfen: gegen den „Schandvertrag“ und die gegenwärtige Kraft- und Religionslosigkeit. So der Theologe Prof. Dr. Heinrich Laag bei der Namensverleihung am 28. Juni 1933) Er begrüßte, dass der jüdische Kosmopolitismus jetzt überwunden war, ebenso wie der aufklärerische Geist, in dem schon Arndt die Quelle aller Schwächlichkeit Erbärmlichkeit seiner Zeitgenossen gesehen habe. Laag sah mit Arndt die Journalisten und Rezensenten als Volksverderber, hatte doch – Zitat Arndt – „nichts die Weiber mehr verdorben, als dieses elende Geschmeiß […]. [D]iesen hündischen und füchsigen Schurken möchte man ins Gesicht speien und die Stimme verfluchen, die sie das erste deutsche Wort gelehrt hat.“ Es wird zum Schluss versichert, dass man verstanden habe, was von der Universität Greifswald erwartet wird und was sich die neue Führung davon verspricht, „wenn der Geist Arndts die akademische Jugend erfasst.“ „Das, was Ernst Moritz Arndt gewollt hat, geht zum guten Teil in unseren Tagen in Erfüllung.“

Der Theologe Dozent Dr. Walther Glawe, 1934 – zum einjährigen Jubiläum der Namensverleihung und des „Dritten Reiches“ – verkündete, an deutschen Hochschulen sei jetzt Schluss mit dem überspannten, volksfremden Intellektualismus. Wie Hitler, und “ganz im Geiste Arndts”, sieht er die Verpestung der Seele des Volkes sich tagtäglich durch Theater und Kino ereignen, durch Schundliteratur und Schmutzpresse. Das Elend des vom Westen übernommenen Parlamentarismus und dessen Geschnatter, Pazifismus und Materialismus gelte es zu überwinden. „[Eine] stille Glut wurde dann durch den Sturm, den die braunen und schwarzen Bataillone entfesselt haben, zu leuchtender Flamme entfacht“. Nach diesem rhetorischen Höhepunkt betet der Theologe um Gottes Schutz für den Kanzler, Adolf Hitler, der den schwarzen Schleier vom Antlitz der Germania gerissen habe. Beide Vorträge stehen im Netz.

1943 feierte die Ernst Moritz-Arndt-Universität Greifswald den 10. Jahrestag der Namensverleihung. Einer der Redner, der Skandinavist Leopold Magon, trat in Wehrmachtsuniform auf. Arndt- Tage bedürften im Kriege keiner besonderen Rechtfertigung. Arndt habe „ein politisches Vermächtnis zu einer deutschen Volkswerdung hinterlassen,[…] die wir seit einem Jahrzehnt zu verwirklichen begonnen und in diesem Krieg zu verteidigen haben“, er sei ein „Wegbereiter des Heute“. „Der alte deutsche Wehrmann (ist) wieder in seiner Herrlichkeit auferstanden und (hat) sich auf dem blutigen Todesfelde bewährt.“ (Stalingrad war Anfang Februar gefallen, die Arndt- Tage fanden im Juli statt.)

Auch die anderen Redner, zwei weitere in Uniform, betonten die Aktualität Arndts. „Sein Ringen um die geistige Erneuerung (mündet) organisch in den Kampf mit den Waffen ein.“ Er habe schon früh gewarnt vor dem revolutionären Liberalismus des Juden und Judengenossen. Er habe der jüdischen Zersetzungstätigkeit die deutsche völkische Bewegung entgegengestellt. Seine Idee des Pangermanismus wird bejaht. Auch zu DDR-Zeiten, z.B. 1969 zum 200. Geburtstag Arndts, den die Uni mit eine Festwoche und Festschrift beging, wurde immer wieder betont, man habe das Erbe Arndts angetreten, man wolle sein Vermächtnis erfüllen oder habe es erfüllt. Für Marxisten zitierfähige Äußerungen des Namenspatrons fand man nicht so zahlreich wie zur Nazizeit, aber mittels “Dialektik” und Walter Ulbricht-Zitaten kommt heraus, dass „bei uns durch den Sozialismus verwirklicht wurde, „was über Jahrhunderte hinweg die besten und edelsten Geister unserer Nation erträumt, erhofft und erstrebt haben“ (Prof. Johannes Schildhauer in der Festschrift). „In der DDR haben die Bürger einen Staat gefunden, wo – Arndt-Zitat – „sie dem Vaterland und der Regierung lebendig angehören“ (Neue Zeit, 1969). Die Universität verspricht: „Ernst Moritz Arndt lebt in unserem Tun“ (National-Zeitung 1969).

Man versteht jetzt vielleicht, warum man sich heute an unserer Uni nicht mehr gern auf Arndt berufen mag.

Prof. Dr. Walter Baumgartner

 

Die Autoren:

Warum die Universität keinen Namenspatron braucht.
Von Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann
(Allgemeine Geschichte der Neuesten Zeit, Dekan der Philosophischen Fakultät)

Von einer Universitätsrückbenennung zum inszenierten ‘Aufschrei der Region‘.
Von Prof. Dr. Helmut Klüter (Regionale Geographie)

Arndt als Hochschullehrer und die Wissenschaft von der Geschichte.
Von Prof. Dr. Werner Buchholz (Pommersche Geschichte und Landeskunde)

‘Eine drollige Gattung Bluthunde‘, oder: Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit.
Von Prof. Dr. Eckhard Schumacher (Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie)

Ernst Moritz Arndt in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung.
Von Prof. Dr. Walter Baumgartner (Skandinavistik/Germanistik)

0,69 Promille – Zur Bedeutung Arndts in der Politischen Ideengeschichtsschreibung.
Von Prof. Dr. Hubertus Buchstein (Politische Theorie und Ideengeschichte)

Ich möchte mich nicht schämen müssen…
Von Prof. Dr. Mathias Niendorf (Osteuropäische Geschichte)

Ernst Moritz Arndt aus Sicht der Geographie.
Von Prof. Dr. Helmut Klüter (Regionale Geographie)

Theologischer Einspruch.
Von Reinhard Lampe (Pfarrer)

Zur Namensdebatte aus der Sicht eines Amerikanisten.
Von Prof. Dr. Hartmut Lutz (Amerikanistik/Kanadistik)

Arndt als dänische Komödienfigur.
Von Dr. Frithjof Strauß (Skandinavistik)

‘Der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte‘ – Arndt heute.
Von Dr. Michael Gratz (Germanistik)

Aus einem Roman.
Von Dr. habil. Peter Tenhaef (Musikwissenschaft)

Die Debatte um die Namenskorrektur der Universität Greifswald 2017.
Von Prof. Dr. Walter Baumgartner (Skandinavistik/Germanistik)