Aus einem Roman

Von Peter Tenhaef

Im Jahre 2015 erschien unter dem Titel „Verrük-kung – Briefe eines Romantikers in seine Vergangenheit“ ein Roman, der auf angeblichen Dokumenten aus den Jahren 1811 und 2030 (!) beruht, herausgegeben von einem gewissen Herrn Josef Zumhoff. Die kuriose Konzeption tut hier nicht viel zur Sache; es ist aber an drei Stellen von Ernst Moritz Arndt die Rede. Das möchte vielleicht von Interesse für die Namensdiskussion der Greifswalder Universität sein.

Die Hauptfigur der Romans, Friedrich Schlösser (aus dem 19. Jahrhundert), macht mit seiner Gefährtin Franziska Stern (aus dem 21. Jahrhundert) einen Rügenurlaub. Zunächst daraus:

Und dann, kurz vor der Fähre passirten wir das Dorf Groß-Schoritz, und es fiel mir bey, daß hier Ernst Moritz Arndt geboren sey, den ich einst in Altenkirchen als Kosegartens Hauslehrer kennenlernte und dann einmal bey Schleiermacher wiedersah. War er nicht später Greifswalder Professor? „Nicht allzu lange“, wußte Franzi; „er mußte nach Schweden vor den Franzosen ausweichen, auf die er einen unauslöschlichen Haß hatte. Später in den Befreiungskriegen hat er sich dann mit blutrünstigen Kriegsliedern hervorgethan, die sehr populair wurden und in denen er wünschte, daß der Franzosenhaß niemals verglühen möge. Er hat auch Schriften über den Volkshaß als Mittel zur nationalen Identität verfaßt. Die Greifswalder Universität hat ihn übrigens im vorigen Jahrhundert zu ihrem Namenspatron erhoben, sogar zweimal, zuerst in den dreißiger, dann wieder in den fünfziger Jahren, bis endlich immer mehr herauskam, daß Arndt nicht nur ein großer Franzosenhaßer gewesen war – was ja auch nicht gerade eine große Leistung war –, sondern darüber hinaus sehr fragwürdige Ansichten über die Polen und natürlich die Juden hatte und über die Frauen sowieso.“ – „Ach“, entfuhr es mir, „ich habe nur davon gehört, daß er wie Brentano und Arnim mit Begeisterung Volkslieder sammle und sich hier auf Rügen für die Aufhebung der bäuerlichen Leibeigenschaft eingesetzt habe, ja daß er überhaupt ein gewaltiger Kritiker sey. Manche vergleichen ihn gar mit Dr. Luther.“ – „Das muß man wohl der Gerechtigkeit halber sagen“, meinte Franzi, „aber Selbstkritik war nicht gerade seine Stärke – und auch darin war er Luther wohl ähnlich. Die negativen Punkte, die besonders von den Greifswalder Studirenden immer wieder angemahnt wurden, konnte man am Ende nicht mehr ignoriren und mußte wohl oder übel den Namenspatron wieder abschaffen, ist aber noch nicht lange her, soviel ich weiß.“ Es war offenkundig, daß Franzi Arndt nicht mochte, ob das nun gerecht war oder nicht. Woher ihre Antipathie rühre, wurde mir noch klarer, als sie fortfuhr: „Über seinen früheren Freund und Wohlthäter Kosegarten hat Arndt übrigens auch einen Kübel von Unflat ausgegossen, weil der seine Greifswalder Professur den Franzosen zu verdanken hatte und schließlich nicht in die allgemeinen Haßtiraden miteinstimmen wollte. Er hatte ganz andere Vorstellungen von der Wiedergeburt Deutschlands als Arndt und sprach von dem „dummen Götzen Teuschthum“. Er glaubte, daß alle Antagonismen nach und nach verschwinden, nicht nur die nationalen, auch die religiösen. Ich habe seine Verteidigungsschrift gegen die Anfeindungen gelesen; darin schreibt er, wir würden uns nicht länger mehr nach Luther, Zwingli oder dem römischen Bischof benennen, sondern alle Katholiker werden in des Wortes ältestem und ächtem Sinn. Aber diese Schrift wurde neben anderen zwei Jahre später von nationalistischen Studenten auf der Wartburg verbrannt!“ – Ich erschrak einigermaßen über eine solch harsche Reaktion auf einen Friedfertigen, faßte mich aber und sagte: „Kosegarten ist im Grunde, trotz mancher altmodischer Schnurren, ein Kosmopolit und damit seiner Zeit voraus, nicht viel anders als Schleiermacher. Dem dürften solche Reden wohl gefallen, und ich will ihm davon erzählen. Was du aber über Arndt berichtest, erstaunt mich nun nicht so sehr, er machte mir schon in Altenkirchen einen etwas verbiesterten Eindruck, und ich wundere mich eher, daß so sanftmüthige Menschen wie Kosegarten oder Schleiermacher überhaupt mit ihm zurechtkommen konnten. – Aber apropos Namenspatron: Wie wäre es denn mit Ludwig-Gotthard-Kosegarten-Universität – sozusagen als Wiedergutmachung?“ Franzi lachte: „Darauf ist in Greifswald wohl niemand gekommen. Man war sicher froh, daß man das Namensproblem endlich vom Hals hatte. Solche Festlegungen sind doch immer irgendwie bedenklich.“

Offenbar prophezeit der Autor die Abschaffung des Namens „Ernst Moritz Arndt-Universität“ für die 2020er Jahre. Sollte es nun gar früher dazu kommen? – Im weiteren Verlauf findet die Begegnung zwischen Schlösser und dem romantischen Theologen Schleiermacher statt. Schlösser berichtet von einer internationalen Kosegarten- Gesellschaft in den USA (die es tatsächlich gibt) und Schleiermacher fragt daraufhin:

Interessirt man sich denn in Amerika für einen Dichter wie Kosegarten?

Schlösser:

Ich glaube, heute interessirt man sich überall für alles. Jedenfalls hat es den Anschein. Es soll neuerdings sogar eine Internationale Ernst-Moritz- Arndt-Gesellschaft gegründet worden sein, als Protestreaction darauf, daß die Universität Greifswald diesen Namen abgelegt hat. Aber Franzi spottete darüber: der internationale Anklang werde wohl ausbleiben, nachdem Arndt sich so ziemlich mit allen Nationen überworfen habe und im Grunde nur die deutsche (und allenfalls die schwedische) gelten lasse. Schleiermacher: Was Sie da in Ihrem Bericht über unsern Arndt geschrieben haben, hat mich doch etwas bedenklich gestimmt. Da scheint es ja auch aussichtslos zu sein, auf ihn begütigend einzuwirken, gerade jezt, da die Spannungen wieder wachsen.

Beide Stellen deuten auf eine recht einseitige Parteinahme der Figuren, ja des Autors selbst hin. Es kommt aber auch die andere Partei zur Sprache, nämlich an einer späteren Stelle im Gespräch mit Heinrich von Kleist, zwei Tage vor seinem Selbstmord. Dabei geht es um das Thema der Radikalität in ästhetischer, politischer und existenzieller Hinsicht. Schlösser versucht auf Kleist beruhigend einzuwirken:

Müssen wir denn radical an diese Grenze vorstoßen? Wie [Caspar David] Friedrich oder gar wie Hölderlin? Der hat auch nicht rechts noch links gesehen. Und wo ist er jezt?

Kleist antwortet:

Er ist verbrannt, ja Schlösser. Aber ich sage Ihnen: besser flammend aufzubrennen als hinter dem Ofen die Zeit zu versitzen! Und diese unsre Zeit ist, wie wohl wenige zuvor, eine Zeit des Verbrennens, das fühle ich und wenigstens einige mit mir. Müller ist so ein Unbedingter, der sich verbrennt. Auch wenn wir uns oftmals gestritten und einmal beynahe duellirt haben, ist EMAZ II.qxp_Layout 1 09.10.17 10:45 Seite 34 35 mir seit seinem Abgange nach Wien alle Tage das Leben schwerer geworden, die Luft zum Athmen dünner. – Und Arndt. Er hat mich neulich incognito von Stockholm besucht und mir zu meiner Hermannsschlacht gratulirt. Und er wollte nicht alle jene Passagen gestrichen wissen, die viele von Euch Zartfühlenden für zu roh halten! Er versteht, daß Haß wie Liebe, beide nahe der Wircklichkeit stehen und sprach gegen alle Harmonisten vom Schlage Schleiermachers oder Kosegartens das Wort aus der Apocalypse: „O wärest du doch warm oder kalt! Da du aber lau bist, will ich dich ausspeien aus meinem Munde!“ Nur von dieser Position aus, Schlösser, werden wir die Franzosen endlich aus dem Land treiben können. Fast glaube ich, Arndt werde mich mit seinen herrlichen Haßgesängen, die er für den großen Sturm vorbereitet, noch übertreffen. Dichterisch taugen sie nicht allzu viel; aber sie können ein ganzes Volk in Brand setzen, ja in Brand setzen und dadurch zusammenschweißen. „Feuer auf die Erde zu werfen, bin ich gekommen; und wie wollte ich, daß es schon brennte!“ Darüber könnten unsere saturirten Herren Theologen ruhig öfter mal predigen. – Jesus von Nazareth, das wäre eigentlich auch ein großer Tragödienstoff. Wo sonst auf der Welt wäre so viel Unbedingtes gewesen als in dem „Wort, das bey Gott war“?! „Aber die Welt hat es nicht erkannt“ und ist auch nach zweitausend Jahren noch nicht reif dafür – und die Theologen schon gleich gar nicht.

Nun ja, ich weiß nicht, ob diese eruptiven Bekenntnisse wirklich Wasser auf die Mühlen der Greifswalder Namensbefürworter sind. Insgesamt hat man den Eindruck, dass der Autor Zumhoff wieder mal so ein dahergelaufener „Wessi“ ist, der es sich mit seiner Antipathie gegen Arndt, den er womöglich nur aus alten Kommersbüchern kennt, herzlich leicht macht. Aber vielleicht geht es auch in unserer Diskussion nicht wirklich um Ernst Moritz Arndt selbst, vielmehr (jedenfalls für die „Ossis“) um eine ebenso heikle wie schiefe Identitätsfrage, an der sich alle die Finger verbrennen.