Von einer Universitätsrückbenennung zum inszenierten „Aufschrei der Region“

Von Helmut Klüter

Im Frühjahr 2017 haben politische rechtsnationale Kräfte mit teilweiser Unterstützung bürgerlicher Gruppen trotz der durch die Landesverfassung verbrieften Hochschulautonomie in Universitätsbelange eingegriffen, und zwar in einer Form, die für die Bundesrepublik Deutschland neu ist. Die eigentlich universitätsintern zu regelnde Frage des Universitätsnamens wurde in der Lokalpresse zu einem öffentlichen „Streit um Ernst Moritz Arndt“ stilisiert und als solcher in das Stadt- und Landesparlament getragen. Unter anderem als Folge dieser Politisierung wurde der Senatsbeschluss zur Rückbenennung der Hochschule in „Universität Greifswald“ nicht genehmigt. Mit einem kurzen Rückblick auf die Namensgeschichte seit 1933, einer Darstellung der wichtigsten Gründe für die Rückbenennung sowie ihrer Politisierung – nicht zuletzt mit Hilfe einer für die Region einmaligen Leserbriefkampagne – soll die derzeitige Situation erläutert werden.

1. Zur Namensgeschichte der Universität Greifswald

Schon bald nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 beantragten örtliche und regionale Parteifunktionäre die Umbenennung von Straßen, Plätzen und öffentlichen Einrichtungen nach Personen, die in oder für die eigene Parteiengeschichte Verdienste erworben oder als wichtige Vorläufer angesehen wurden. Auch die Universität Greifswald wurde nach dieser Praxis umbenannt.

Namensgeschichte der Universität Greifswald seit 1933.

16.05.1933

Die Universität Greifswald wird auf Initiative des Theologieprofessors Walther Glawe (1880 – 1967) „Stahlhelm“, später SA, NSDAP-Mitglied) von einer nicht gewählten preußischen Kommissariatsregierung unter Hermann Göring in „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ umbenannt.

16.02.1946

Nach ihrer Schließung 1945 wird die Hochschule als Universität Greifswald wieder eröffnet.

1954

Das DDR-Staatsekretariat für Hochschulwesen bestätigt auf Antrag der Universität Ernst Moritz Arndt als Namenspatron, wobei Walther Glawe – Initiator der Umbenennung von 1933 – nun als SED-Mitglied – für die Wiederaufnahme des Namens wirbt.

1990

Nach der Wiedervereinigung gilt der Name der Universität als unklar. Ein Landeshochschulgesetz existiert noch nicht.

1994/96

Der Beirat des Rechenzentrums beschließt, die Domain emau.de nicht mehr weiter zu betreiben. Universitätsadressen werden nur noch mit unigreifswald. de vergeben.

1998

Das erste Leitbild für die Stadt Greifswald und das dafür erstellte Stadtmarketing-Konzept nennen die Hochschule durchgängig „Universität Greifswald“, ohne dass dies in irgendeiner Weise Aufsehen erregt. Die Bürgerschaft verabschiedet das Leitbild ohne Änderungen.

1999 – 2002

In der Zuarbeit zum Landeshochschulgesetz setzt die damalige Hochschulführung unter Rektor Jürgen Kohler ohne universitätsinterne oder öffentliche Diskussion den Namen „Ernst-Moritz-Arndt-Universität“ durch.

2009-2010

Der Senat und eine Kommission erörtern das Für und Wider einer Rückbenennung. Ein Teil der Beiträge wird öffentlich diskutiert. Mehrere Beiträge, die sich für die Rückbenennung aussprechen, werden der damaligen Kommission vorenthalten und nicht veröffentlicht.

2010

In einer studentischen Urabstimmung sprechen sich 43,3% für und 49,9% gegen eine Rückbenennung aus.

17.03.2010

Auch der damalige Erweiterte Universitätssenat entscheidet sich gegen eine Rückbenennung.

2. Einige Ursachen für die Rückbenennung der Universität Greifswald 2016/17

Seit der Rückbenennungsdiskussion 2010 haben sich einige Rahmenbedingungen verändert:

a. 2012 gab die Universität sich ein neues Leitbild. Darin heißt es: „In Forschung und Lehre ist die Universität der Freiheit und Autonomie des Denkens verpflichtet. Forschen, Lehren und Studieren betrachtet sie als eine Einheit, die auch in einer Kooperation der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen zu pflegen und zu entwickeln ist. Im Bewusstsein ihrer langen Tradition und ihrer gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Verantwortung strebt die Universität beständig nach neuen wissenschaftlichen Konzepten und Lehrmethoden und transferiert ihre Arbeitsergebnisse in konkrete Anwendungsbereiche. Die Universität lädt Menschen jeglicher Herkunft und Überzeugung ein, an akademischer Bildung teilzuhaben, gemeinsam für die Erweiterung des Wissens zu arbeiten und Kompetenzen in allen Bereichen des menschlichen Lebens und Zusammenlebens auszubilden. Daraus ergibt sich die Verpflichtung für sie und für jedes ihrer Mitglieder, in Forschung, Lehre und Studium für eine freiheitliche, zivile und demokratische Gesellschaft einzutreten und sich für das friedliche Zusammenleben der Menschen und Völker einzusetzen. Das Bewusstsein für die eigene Geschichte und die von der Wissenschaft zu bearbeitenden Fragen der Zukunft stellen in ihrer Verbindung eine wesentliche Antriebskraft für die Greifswalder Universität dar.“

Die kursiv gesetzten Passagen kennzeichnen die Gedanken, die mit Arndts Lehren unvereinbar sind: „…Freiheit und Autonomie des Denkens“ – An vielen Punkten, wo ein Staatsbürger nachfragen müsste, setzt Arndt den Begriff Gott oder greift auf andere religiöse Vorstellungen zurück. Er, der studierte Theologe, bewegt sich überwiegend im Kommunikationsmedium „Glaube“, also in Religion und Pseudo-Religion, nicht aber in Wissenschaft. In Geographie, Biologie, Wirtschafts- und Politikwissenschaft bleibt Arndt weit hinter dem damaligen Kenntnisstand zurück.

„…Menschen jeglicher Herkunft und Überzeugung“ – Das schließt auch Frauen, Franzosen, Russen, Juden, Spanier und Österreicher ein, die bei Arndt entweder als eine Art Untermenschen oder als Feinde rangieren. „…freiheitliche, zivile und demokratische Gesellschaft, friedliches Zusammenleben der Menschen und Völker“: Bei Arndt ging es um eine kriegerische, ständisch-monarchistische Gesellschaft, die sich auf bewaffnete Konflikte mit den Nachbarn vorzubereiten hatte.

„…eigene Geschichte und die von der Wissenschaft zu bearbeitenden Fragen der Zukunft stellen in ihrer Verbindung eine wesentliche Antriebskraft…dar.“ Zur Geschichte der Universität gehört ganz sicher und fest der Name Ernst Moritz Arndts. Ebenso klar ist, dass unter der Flagge des mittelalterlich und völkisch orientierten Arndt keine wissenschaftlichen Fragen der Gegenwart und der Zukunft bearbeitet werden können.

b. Mit der derzeitigen Uni-Marke lassen sich kaum internationale Studierende anwerben.

Fragten früher ausländische Interessenten an einem Studium in Greifswald bei den hiesigen Auslandsbeauftragten nach, wenn sie Informationen zur Universität, einschließlich ihres Namens, benötigten, schauen sie heute meist ins Internet. Sofern man mit nichtdeutscher Spracheinstellung in den Suchmaschinen arbeitet, kann man bei der Suche nach E. M. Arndt ziemlich unvermittelt auf rechtsextremen Seiten landen. Das schreckt ab. Während die ostdeutschen Universitäten auf einen durchschnittlichen Anteil von 15,3 % an ausländischen Studierenden kommen (gesamtdeutscher Durchschnitt: 13,01 %), waren es in Greifswald im WS 2015/16 nur 5,89 %.

c. Der erstarkende Rechtspopulismus in Deutschland und besonders in Vorpommern bezieht sich unter anderem auf Arndts Schriften. Als Gewährleistung für die Seriosität seiner fremdenfeindlichen und rechtsextremen Aussagen gilt dabei unter anderem die Tatsache, dass nach E. M. Arndt eine Universität benannt sei. Bei den Landtagswahlen 2016 wurde die AfD im Landkreis Vorpommern-Greifswald zur stärksten politischen Kraft vor der CDU.

d. Früher konnte man sich darauf verlassen, dass die negativen Auswirkungen des Universitätsnamens sich aufgrund der Unbekanntheit von Arndts Werken in Grenzen hielten. Das ist heute nicht mehr so. In rechtsorientierten Netzwerken und deren Internet-Enzyklopädien (Allbuch, Metapedia) werden Arndt und seine Thesen offensiv propagiert.

e. Seit der Landtagswahl 2016 ist die Greifswalder Professorenschaft mit nur einer Person im Landtag Mecklenburg-Vorpommerns präsent, und zwar mit dem Juristen und AfD-Abgeordneten Ralph Weber. Er tritt vehement gegen eine Rückbenennung ein. Mehrfach musste die Universität sich von seinen rechtsextremen Ansichten distanzieren.

f. Die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Umbenennungsbeschlusses von 1933 konnten in der Diskussion 2010 nicht ausgeräumt werden. Die Frage, ob andere Institutionen, wie z. B. der Landtag, möglicherweise unrechtmäßig zustande gekommene Beschlüsse per Landeshochschulgesetz bestätigen dürfen, ist bis heute ungeklärt.

Am 18.01.2017 beschloss der Erweiterte Senat der Universität die Ablegung des Namens „Ernst Moritz Arndt“.

3. Die Eskalation der Rückbenennung zur regionalen Krise

In sozialen Netzwerken wurde die Rückbenennung schnell emotionalisiert. Ernst Moritz Arndt wurde als Freiheitskämpfer, Demokrat und Stütze der pommerschen Identität verteidigt. Die historische Wahrheit, wie etwa die, dass Arndt nie eine Waffe getragen hat (außer zu Duellzwecken), ein Verfechter eines monarchistisch geprägten Führerprinzips war, und den größten Teil seines Lebens außerhalb Pommerns als Professor der Bonner Universität verbrachte, spielte dabei keine Rolle. Im Zeichen des Vorwahlkampfes zum Bundestag wurde das Thema schnell von der Politik aufgegriffen.

Politisierung der Rückbenennung

18.01.2017

Der erweiterte Senat beschließt die Ablegung des Namens „Ernst Moritz Arndt“.

19.01.2017

Die Ostsee-Zeitung (OZ) bietet den Gegnern der Rückbenennung – auch aus der AfD – breiten Raum in Redaktionsbeiträgen und Leserbriefen.

20.01.2017

Die CDU beantragt eine Sondersitzung der Bürgerschaft

26.01.2017

In einem Artikel transformiert die OZ die Rückbenennung zu einem „Streit um Ernst Moritz Arndt“ und wiederholt dies bis zum 18.04. 23- mal in zunächst fast täglichen Überschriften.

27.01.2017

Die OZ veröffentlicht eine 6-seitige Sonderbeilage zu dem von ihr ausgerufenen „Streit um Ernst Moritz Arndt“. Von den 34 Leserbriefen in der Beilage enthalten 14 Diffamierungen der Rückbenennungsbefürworter.

Januar 2017

Der Deutsche Hochschulverband startet eine Online- Umfrage zur Rückbenennung der Universität Greifswald.

30.01.2017

Der von der CDU und rechten Gruppen eingebrachte Antrag, die Universität zum Überdenken ihrer Entscheidung zu veranlassen, scheitert in der Bürgerschaft bei namentlicher Abstimmung, obwohl die beantragenden Gruppen rechnerisch über die Mehrheit verfügen.

Anfang Februar

Die rechtsextreme Website de.allbuch.online , die einige Leserbriefschreiber inspiriert hat, wird gesperrt.

Ab Februar 2017

Die Rektorin, die Senatsvorsitzende, Senatsmitglieder und einige Befürworter der Rückbenennung werden in sozialen Netzwerken und in anonymen Briefen diffamiert und bedroht.

05.02.2017

Ein ehemaliger Rektor kritisiert Formfehler bei der Beschlussfassung der Rückbenennung und hat mit einigen Kollegen Beschwerde beim Bildungsministerium eingereicht. Die OZ sorgt ab 07.02. mit einem Beitrag für die Publizität dieses Vorgehens.

11.02.2017

Die Ende Januar gegründete Bürgerinitiative „Ernst Moritz Arndt bleibt“ organisiert eine Menschenkette, die Rathaus und Universitätshauptgebäude umfassen soll.

24.02.2017

Die Ostsee-Zeitung veröffentlicht die Drohung eines ehemaligen Rektors mit „schmutzigen Prozessen“, falls auf seine Argumentation gegen die Rückbenennung seitens der Politik nicht eingegangen würde.

04.03.2017

Prangerrede des CDU-Fraktionsvorsitzenden der Bürgerschaft auf dem Greifswalder Marktplatz

Bereits im Februar erreichte die Debatte drei Tiefpunkte:

1. Mandatsträger der Universität und einige Befürworter der Rückbenennung wurden in sozialen Netzwerken und in anonymen Briefen persönlich bedroht.

2. Politische Mandatsträger wurden mit „schmutzigen Prozessen“ bedroht. „Schmutzige Prozesse“ wurden seinerzeit vor allem gegen demokratische Politiker in der Weimarer Republik (1919 bis 1933) geführt. Ziel der Prozesse war nicht so sehr der Prozessgewinn, als vielmehr die Diffamierung und die Rufschädigung des Gegners. Es dürfte klar sein, dass in einem Bundestagswahlkampfjahr kein Politiker mit einem „schmutzigen Prozess“ belastet werden wollte. 3. Am 04.03. kam es zur „Prangerrede“ des CDU-Fraktionsvorsitzenden der Bürgerschaft auf dem Greifswalder Marktplatz. Dazu hieß es in der Ostsee-Zeitung vom 06.03. auf S. 9: „Im Anschluss verlas er die Namen von Bürgerschaftsmitgliedern, die in der namentlichen Abstimmung im Stadtparlament gegen den Antrag seiner Partei votierten, die Universität zum Überdenken des Beschlusse zu bewegen. Jeder Name wurde mit Pfiffen und „Pfui“-Rufen vom Publikum quittiert. Im Anschluss bat Hochschild darum, auch Oberbürgermeister Stefan Fassbinder auszupfeifen, da dieser die Greifswalder seiner Ansicht nach in puncto Arndt allein lasse.“ In einem Leserbrief derselben Ausgabe wurde auf S. 5 kommentiert:

„…Was sich jedoch am letzten Samstag auf einer Kundgebung ereignete, enttäuscht mich zutiefst: die öffentliche Verlesung von Bürgerschaftsmitgliedern auf dem Marktplatz, die sich in einer ebenfalls öffentlichen Abstimmung nicht der Sache des Kundgebungsredners angeschlossen hatten, und die johlende Menge, die jeden dieser Namen mit Schmährufen quittierte. Alle Menschen mit Anstand, Achtung vor Anderen und Geschichtsbewusstsein sollten ahnen, was es heißt, wenn Namen wie an einem öffentlichen Pranger vor johlender Menge verlesen werden.“

Folgen der Einschüchterungen und Drohungen.

13.02.2017

Wegen anscheinend programmierter und automatisierter Abstimmungen wird die Umfrage des Hochschulverbands abgeschaltet und nicht ausgewertet. Die Ostsee-Zeitung führt später eine eigene Telefon- Umfrage und eine Leser-Umfrage über das Internet durch. Auch deren Ergebnisse werden technisch manipuliert.

07.03.2017

Das Bildungsministerium teilt mit, dass es die Rückbenennung aus formalen Gründen nicht genehmigt.

März 2017

Viele der Texte der im Februar gesperrten rechtsextremen Seite de.allbuch.online tauchen unter de.metapedia.org wieder auf. Auch der problematische Text über Arndt ist wieder da.

15.03.2017

Der Senat der Universität diskutiert den Bescheid des Bildungsministeriums. Später wird beschlossen, zunächst die Grundordnung der Universität dem Landeshochschulgesetz anzupassen. Ein neuer Antrag auf Rückbenennung wird nicht gestellt.

03.04.2017

Die Bürgerschaft beschließt ohne empirische Grundlage, „dass der Großteil der Greifswalder Bürgerinnen und Bürger die Beibehaltung des Namens Ernst Moritz Arndt für die Universität befürwortet.“

26.04.2017

Der von den Rückbenennungsgegnern eingeladene Politikwissenschaftler Götz Aly distanziert sich bei einem Vortrag in der Uni-Aula von seinen Gastgebern und spricht über die Verflechtung von Antisemitismus und Nationalismus in der Greifswalder und Berliner Professorenschaft während der Zeit von Arndt bis zum 2. Weltkrieg.

4. Die Leserbriefkampagne der Ostsee-Zeitung

Die 1952 als SED-Bezirksorgan gegründete Ostsee- Zeitung hat im östlichen Teil des ehemaligen Bezirks Rostock (= Nördliches Vorpommern) ein Tageszeitungsmonopol. Wie jede Zeitung hat auch die OZ zwei Funktionen: Information und Kommentierung/Meinungsbildung.

In den meisten Leserbriefen ging es nicht um das Universitäts-Marketing und die Frage der optimalen „Firmenbezeichnung“, sondern um die Verteidigung Ernst Moritz Arndts. Eine derartige Kampagne hat es in Vorpommern seit der Wiedervereinigung nicht gegeben. Über die Hälfte der publizierten Leserbriefe gegen die Rückbenennung waren mit Diffamierungen gegen Universitätsangehörige, Personenkult für Arndt sowie nationalistischen Inhalten besetzt. Das Spektrum der dafür in Stellung gebrachten Argumente bis hin zu rechtsextremen, volksverhetzenden und sogar nationalsozialistischen Statements:

„Schon seit Jahren habe ich den Eindruck, dass unter dem Deckmantel einer angeblichen Weltoffenheit eine systematische Entdeutschungspolitik betrieben wird.“

„….als Arndt zu seiner Zeit konsequenter als andere Heroen deutscher Zunge eine strikte Abgrenzung von den noch hochaktiven Feudalzwängen betrieb, was zu erheblichen Widerständen rivalisierender Bevölkerungsschichten führte, zu denen insbesondere die eher noch freistaatlich-feudalorientierten, vagabundierenden jüdischen Stämme gehörten.“ Beide Zitate stammen aus Leserbriefen der OZ vom 01.03.2017, S. 12.

Folgende Motive und Themen finden sich in den Leserbriefen besonders häufig:

• Die Universität wird häufig auf ihre Funktion als Arndt-Denkmal beschränkt. • Arndt ist so etwas wie das liebgewonnene Möbelstück im Wohnzimmer, das die Kinder oder Enkel plötzlich auf dem Sperrmüll entsorgen wollen.

• Heimatlose Wessis, die Arndt nicht mögen, wollen den alteingesessenen Greifswaldern und Vorpommern ihren Arndt nehmen.

• Arndt gilt als Symbol für angeblichen Patriotismus – wobei die Frage, ob es Patriotismus sein kann, wenn man zum Krieg und damit zur Zerstörung des Vaterlands und zur Hinnahme des Todes der eigenen Männer als Soldaten aufruft, völlig ausgeblendet wird),

• Arndt wird zum Anlass, einige persönliche Motive auszuleben, und – ausgehend von einer Person – die Studentenschaft und die Uni-Führung pauschal niederzumachen. Was haben derartige Dinge in einer Tageszeitung zu suchen? (z. B. im Leserbrief eines ehemaligen Rektors in der OZ vom 27./28.05.2017 auf S. 14) Die Struktur der Arndt-Verteidigung lässt sich wie folgt charakterisieren:

• „Die positiven Seiten werden ihm als persönliche Verdienste zugeschrieben. Die negativen Seiten – Franzosenhass und Antisemitismus – werden auf die damaligen Umstände – napoleonische Besatzung und Zeitgeist zurückgeführt.

• Dass Personen aufgrund derselben Faktenlage zu anderen wohl fundierten Einschätzungen kommen, wird nicht ernsthaft in Betracht gezogen.

• Deshalb muss mit Personen, die andere Auffassungen vertreten, etwas nicht stimmen. Sie werden als Radikale, Linksradikale, Populisten, Fanatiker bezeichnet oder als Personen, die sich mit Arndt nicht gründlich oder vorurteilsfrei auseinandergesetzt haben.

• Da alle diese Zuschreibungen negativ sind, fühlt man sich zu Intoleranz und offener Feindseligkeit gegenüber Andersdenkenden berechtigt.“ (Hans Westmeyer in der OZ vom 6.3.2017, S. 5) Hier stellt sich die Frage, wie es sein kann, dass die Lokalredaktion der Zeitung einer Universitätsstadt eine derartige Vielzahl von Fehlinformationen, Beleidigungen und niveaulosen Behauptungen abdruckt. Folgende Versäumnisse sind der Lokalredaktion vorzuwerfen:

• Die Informationsfunktion wurde gegenüber der Kommentarfunktion extrem vernachlässigt. Einige Beispiele:

• Über das Problem der Unvereinbarkeit des neuen Universitätsleitbilds mit der Lehre Arndts wurde nicht informiert.

• Fälschlich wurde mehrfach behauptet, die Kritik an Arndt hätte erst 1998 begonnen. Dabei wurde unterschlagen, dass die rechtspopulistischen und antisemitischen Züge in Arndts Schriften bereits 1815 von Saul Ascher auflagenstark kritisiert wurden.

• Die Tatsache, dass Arndts Werk den Rechtsextremismus in Deutschland beflügelt hat und in den letzten Jahren offensiv auch von Rechtspopulisten (Im Internet: „Allbuch“ (derzeit gesperrt), „Metapedia“) genutzt wird, wird verschwiegen. Auch über die Selbstverständlichkeit, dass eine Universität sich von so etwas distanzieren muss, wurde nichts geschrieben.

• Eine der beiden Personen, die die Kampagne initiiert hatten, bekannte am 31.03.2017, dass sie noch kein Werk von E. M. Arndt zu Ende gelesen hätte. In der Greifswalder Lokalredaktion der Ostsee-Zeitung war also zumindest bis zu diesem Zeitpunkt offenbar nicht bekannt, wes Geistes Kind man da eigentlich verteidigte. Die mangelhafte Kenntnis von Arndts Werk war wohl auch eine der Ursachen für das extrem niedrige Diskussionsniveau in der OZ. Leserbriefe mit Falschinformationen wurden nicht aussortiert, sondern gedruckt.

• Man verschwieg, dass Arndts Arbeiten zu DDRZeiten zensiert und geschönt wurden. In der DDR-Ausgabe von „Erinnerungen aus dem äußeren Leben“ (Greifenverlag, Rudolstadt 1953) fehlen beispielsweise das fatale geopolitische Vermächtnis und die Agrarverfassungsvorschläge mit Bindung der Bauern an den Boden (vgl. Beitrag über „Ernst Moritz Arndt und seine Bedeutung für die Geographie“ in diesem Heft). Ein redaktioneller Hinweis darauf hätte geholfen, zumindest einige Missverständnisse zu vermeiden.

• Einer der journalistischen Tiefpunkte war der Abdruck des stümperhaften Arndt-Gedichts „Lied vom Feldmarschall“, das auf Wunsch eines Arndt-Fans am 03.02.2017 auf S. 12 erschien.

• Auch der Ossi-Wessi-Gegensatz wird 27 Jahre nach der Wiedervereinigung von der Zeitung reaktiviert, um die angebliche westdeutsche Abneigung gegen Arndt zu belegen.

• Im betrachteten Zeitraum erschienen 107 Redaktionsartikel. Selbst kleinere Regungen der Arndt-Verteidiger wurden ausführlich dargestellt. Die Positionen und Aussagen der Befürworter einer Rückbenennung wurden bis zur Unkenntlichkeit verkürzt – oder vollständig gestrichen.

• Diese verzerrten Statements wurden als Zünder“ für neue entrüstete Briefe gegen die Rückbenennung eingestellt – vor allem dann, wenn die Energie der Briefschreiber abzuflauen drohte.

• Von den 392 Artikeln und Leserbriefen befassen sich nur 13 direkt mit dem eigentlichen Marketing-Problem der Universität und der Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition vor dem Hintergrund der realen Daten.

• Die dringend notwendige Korrektur von Fehlinformationen, Drohungen und verzerrten Darstellungen in den Leserbriefen und einigen Redaktionsartikeln blieb aus. Stattdessen wurden die Schwächen Arndts nur auf Antisemitismus und Franzosenhass reduziert.

► Seine Beschimpfungen anderer Nationen (vor allem Polen, Italiener, Russen, Engländer) auf der Grundlage nationaler Stereotypenbildung,

► seine Pläne zur Annexion der Niederlande und Belgiens, Abb. 5: Abb. 4:

► seine verhängnisvolle Funktion für die Propagierung der Vaterlandsideologie, mit der Millionen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen verheizt wurden,

► seine besondere Funktion für die Ideologiebildung der neue Rechten im heutigen Deutschland,

► seine schlechten Vorlesungen – teilweise von Geodeterminismen und Vorurteilen geprägt – , die ihn als Vorbild für eine Hoch schule und als Hochschullehrer disqualifizieren und

► der Missbrauch der Universität zur Verbreitung seines Populismus wurden überhaupt nicht angesprochen.

• Zwar kritisierte die Ostsee-Zeitung zweimal, dass die Arndt-Verteidiger Mandatsträger der Universität beleidigen und diffamieren, doch wurden weiterhin diffamierende Leserbriefe veröffentlicht. Eine derartige Kampagne hat es in Vorpommern seit der Wiedervereinigung nicht gegeben.

Immerhin erschien in der OZ der folgende Kommentar:

„Nachdem ich diese „Debatte“ sowohl online wie offline in verschiedensten Medien zur Meinungsäußerung verfolgt habe, kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass die Entscheidung des Senats der Universität Greifswald richtig war. Diesen Eindruck untermauern alle, die sich für den ehemaligen Patron aussprechen und dabei die Grundregeln jeder respektvollen und demokratischen Diskussionskultur vermissen lassen.“ (Leserbrief in OZ vom 11./12.02.2017, S. 14)

Auch außerhalb der Zeitung geschahen in Greifswald Dinge, die man in einer deutschen Universitätsstadt nach 1945 für unmöglich gehalten hatte. Ein Arzt verweigerte einem Patienten die Behandlung, weil er ihn für einen Befürworter der Rückbenennung hielt. In diesem Klima war es bewundernswert, wie viele Personen dennoch öffentlich für die Rückbenennung eintraten und es wagten, entsprechende Leserbriefe zu verfassen.

5. Einige Konsequenzen für Region, Stadt und die Universität

Für die AfD hat sich der derart inszenierte „Aufschrei der Region“ ausgezahlt. In einer Pressemitteilung vom 07.03.2017 heißt es: „Ernst Moritz Arndt“-Universität behält Namen: Ministerin bestätigt AfD-Forderung. Zur Entscheidung des Bildungsministeriums, wonach die „Ernst Moritz Arndt“-Universität ihren Namen wegen Rechtsfehlern im Verfahren nicht ablegen darf, erklärt AfD-Fraktionschef Leif-Erik Holm: Das ist eine gute Nachricht für alle Greifswalder. Darauf sollten wir heute anstoßen. Der starke öffentliche Druck der Bürger hat diesen Erfolg möglich gemacht. Mit der ministeriellen Entscheidung bestätigt Frau Hesse zudem die Auffassung der AfD-Fraktion, die einen entsprechenden Antrag in die morgige Plenarsitzung eingebracht hat. Offenbar wollte Frau Hesse ihren Genossen ersparen, den fundierten Antrag der AfD-Fraktion ablehnen zu müssen. Die voreilige Entscheidung einiger weniger Senatoren, die über die Köpfe der Bürger in einem grenzwertigen Verfahren die Ablegung des Namens durchpeitschten, rächt sich nun bitter. Ohne die Greifswalder Bürger zu berücksichtigen, sollten hier Tatsachen geschaffen werden. Dem wurde nun zunächst ein Riegel vorgeschoben. Klar ist aber, dass die politisch überkorrekten Bilderstürmer nicht aufgeben werden. Die Greifswalder und alle Bürger unseres Landes müssen wachsam bleiben, um weitere Versuche abzuwehren, unsere wichtigen historischen Wurzeln zu kappen. Die Alternative für Deutschland wird diesen Kampf auch weiterhin nach Kräften unterstützen.“ (Hervorhebungen von Leif-Erik Holm)

Ähnliches wiederholt der bereits erwähnte, ehemalige Rektor am folgenden Tag in der Ostsee- Zeitung auf S. 9: „Ich hoffe, dass die Universität den schlafenden Hund jetzt liegen lässt.“ Für die Stadt Greifswald lauten die Konsequenzen:

• Zwei entschlossene Redakteure, 6 Professoren, 194 Leserbriefschreiber, einige Parteifunktionäre und Internet-Spezialisten reichen aus, um innerhalb von 4 Wochen einen Schulterschluss zwischen Rechten und bürgerlicher Mitte zu erzeugen und damit eine Stadt von 56.000 Einwohnern samt ihrer Universität einzuschüchtern und zu majorisieren.

• Die gut organisierte Rechte hat in Greifswald einen neuen populistisch und demagogisch rücksichtslosen Politikstil ausgetestet. Es ging nicht mehr darum, die Menschen oder den politischen Gegner zu überzeugen, sondern vor allem darum, letztere niederzumachen. Dies geschah zunächst auf lokaler Ebene, könnte aber angesichts des erreichten Erfolges auf regionaler und Landesebene wiederholt werden.

• Die Greifswalder Positionierung als eine demokratische, moderne, universitätsgeprägte und weltoffene Insel in einem strukturschwachen, ländlichen und manchmal etwas rechtsextremen Vorpommern hat sich als Illusion erwiesen. Rechtspopulismus und rechtsextreme Ideologiebildung haben die Stadt längst erreicht. Einige ihrer Exponenten sitzen nicht außerhalb, sondern innerhalb der Universität.

• Vor allem die Ausfälle gegen westdeutsche Studierende und Professoren haben das Image von Greifswald als gast- und studentenfreundliche Stadt beschädigt. Auch die Universität hat gelitten:

• Ein internes Organisationsproblem (hier: die Rückbenennung), das normalerweise mit Bordmitteln gelöst wird, wurde als „Arndt- Streit“ auf eine andere Ebene, nach außen, verschoben. Es wurde publizistisch instrumentalisiert, mit Hilfe von Leserbriefen emotionalisiert, von bestimmten Parteien aufgegriffen und in eine rechtspopulistische Form gebracht.

• Rechtspopulismus und rechtsnationale Gesinnung sind bei einigen Professoren und Mitarbeitern so stark ausgeprägt, dass sie die Loyalität dem eigenen Senat und anderen Hochschulgremien gegenüber überlagern.

• Die inneruniversitäre Opposition gegen die Rückbenennung wird vor allem von Vertretern aus Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie aus der Medizin getragen, also von Bereichen, denen das Werk Arndts eher fachfremd ist, und die sich daher einen laienhaften, oberflächlichen Zugang zu Arndt leisten können.

• Überzeugende Argumente gegen die Rückbenennung gibt es auch bei rechten Professoren nicht. Ähnlich wie ein Studierender, der dreimal durch die Klausur gefallen ist, greift man zu Rechtsmitteln – oder droht Politikern und anderen Funktionsträgern mit „schmutzigen Prozessen“.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schloss am 22.02.2017 wie folgt:„In Greifswald steht die repräsentative Demokratie unter Beschuss. Ein Optimist, wer glaubt, hier handelte es sich lediglich um eine Provinzposse.“

Möchte man diese Eindrücke korrigieren, besteht erheblicher Handlungsbedarf. Man muss auf die Lernfähigkeit demokratischer Strukturen – einschließlich ihrer Presse – setzen und hoffen, dass sich so etwas nicht wiederholt. Dazu gehört auch, dass die Universität und die Landesregierung die seit 72 Jahren überfällige Rückbenennung nachholen.